Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
Es ist hart wie Stein, und die meisten Leute können es nicht deuten. Doch mir ist klar, dass er sich unwohl fühlt, der Technik im Ballsaal so nah sein zu müssen. Aber er hält die Schultern gerade, und seine Haltung strahlt Selbstsicherheit aus, fast schon Aggressivität. Er würde ohne mit der Wimper zu zucken durch ein Elektronikgeschäft gehen, wenn ich am anderen Ende stünde.
Dieser Gedanke zaubert ein Lächeln auf meine Lippen. Eine vertraute, friedliche Wärme überkommt mich.
Irgendetwas geschieht zwischen Kyol und Aren, und dann dreht sich Kyol um und führt Lena aus dem Ballsaal.
»Wer ist die Kleine?«, will Paige wissen. Sie starrt den Fae ebenfalls hinterher.
»Nur irgendein Mädchen. Ich muss mit ihnen reden. Bin gleich wieder da.« Beinahe hätte ich »versprochen« gesagt, aber so wie mein Leben in letzter Zeit verläuft, sollte ich lieber nichts versprechen, was ich nicht halten kann.
Paige seufzt. »Ich finde, du bist ohne ihn besser dran, McKenzie.«
Zum ersten Mal scheint Aren Paige wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Ein sexy, leicht schiefes Lächeln geht über sein Gesicht. »Da bin ich ganz deiner Meinung.«
Paige zieht erneut die Augenbrauen hoch und gibt mir mit einem Blick zu verstehen, dass sie ihn ganz in Ordnung findet. Tja, aber sie weiß ja auch absolut nichts über ihn.
»Wir sind gleich wieder da.« Aren nimmt meinen Arm und führt mich durch die Menge. Als wir auf die Terrasse treten, wirbeln seine Edarratae schon meinen Arm hinauf.
Das sieht Kyol gar nicht gerne. Er weiß, wie es sich anfühlt, mich zu berühren, und was ich empfinde, wenn mich ein Fae anfasst. Er wartet mit Lena am Rand der unteren Terrasse, und sein normalerweise unergründlicher Ausdruck weicht einem unmutigen.
Aren bemerkt seine Reaktion ebenfalls. Er bleibt stehen, bevor wir die Treppe hinuntergehen, beugt sich zu mir und flüstert mir ins Ohr: »Das könnte ein interessanter Abend werden.«
Es gelingt mir, nicht zu erschaudern. »Provozier ihn nicht.« Aren würde einen Zweikampf mit dem Schwertmeister verlieren, da bin ich mir ganz sicher.
Aren kichert nur.
Mit meinen hohen Absätzen wäre mein Gang die Treppe hinunter eine wackelige und peinliche Angelegenheit geworden, wenn Aren mich nicht gestützt hätte. So gelingt es mir jedoch, halbwegs anmutig unten anzukommen. Wir lassen ein Menschen-Paar an uns vorbeigehen, bevor wir auf Kyol und Lena zugehen. Aren bleibt etwa zehn Schritte entfernt stehen.
»Geht es dir gut?«, fragt er Lena. Sie sieht nicht verletzt aus, sieht aber auch nicht gut aus. Sie fühlt sich bei so viel Technik nicht wohl, selbst wenn es eine so simple ist wie Lampen. Natürlich könnte ihr Unbehagen auch teilweise daher rühren, dass sie ein Kleid trägt. Es ist sehr hübsch, tief ausgeschnitten und … Moment mal.
Ich sehe mir den vertrauten Chiffon genauer an, das feine blassviolette Seidengewebe, das über ihre schlanke Gestalt fließt und knapp über dem Boden endet.
»Du hast ihr mein Kleid gegeben.« Ich starre Kyol mit offenem Mund an.
Als Begrüßung lässt meine Bemerkung sehr zu wünschen übrig, aber es ist mein Kleid, das Lena jetzt trägt.
Kyols Blick wandert zu mir, wird weicher und dann wieder zu Stahl, als er erneut Aren ansieht.
Aren hält sich auch nicht gerade zurück, sondern lacht laut auf. »Du wirst mir wirklich fehlen, meine Nalkin-Shom .«
Auf einmal herrscht absolute Stille ringsum, als die aus dem Ballsaal wehende Musik aufhört. Jemand, vermutlich ein betrunkener Cousin der Braut oder des Bräutigams, übernimmt das Mikrofon und spricht einen Toast aus. Die Menschen im Garten gehen nach und nach hinein. Nur ein Paar bleibt zurück. Es sitzt am Brunnen und küsst sich innig.
»Bringen wir’s hinter uns«, sagt Kyol und entfernt ein Silberarmband von Lenas Handgelenk.
Aren drückt meinen Arm. Zuerst befürchte ich schon, er lässt mich nicht los. Ich überlege schon, ob ich mich losreißen soll, aber dann steht das Paar am Brunnen auf. Ich will die beiden nicht auf uns aufmerksam machen.
»Geh zu ihm«, sagt er schließlich.
Ich behalte Lena im Auge, während wir langsam aufeinander zugehen. Sie tut dasselbe, aber ihr Gesicht ist deutlich hasserfüllter als meins. Sie trägt keine Schuhe. Die Glückliche. Ich wünschte, ich hätte auch keine an.
Eine Frau kichert. Ich kann gerade noch rechtzeitig zum Brunnen sehen, um mitzubekommen, wie das Paar weiter in den Garten hineingeht und nicht in den Ballsaal hinaufgeht. Sie verschwinden
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