Die Schattenmatrix - 20
sah, wie sie den Becher mit dem Glühwein in einem Zug leerte. Als er glaubte, dass sich Marguerida wieder im Griff hatte, fragte er Amalie: »Was ist aus der Bewahrerin hier geworden?«
»Es war ein Mann!« Sie lachte höhnisch. »Sobald er merkte, dass Varzil ihn nicht beschützen konnte, lief er weg, als wären alle Dämonen hinter ihm her.« Zur Hölle mit diesem nutzlosen Karl Ridenow, weil er sich genommen hat, was mir zustand! Und verflucht sei auch Varzil, weil er ihm den Posten des Bewahrers gegeben hat und gestorben ist. Er ist noch nicht tot, aber er könnte es ebenso gut sein! Zur Hölle mit allen Män
nern! Sie sind schwach, wenn sie stark sein müssten, und dumm, wenn sie sich für schlau halten. Der Vertrag wird ohne Varzil keinen Bestand haben. Falls Hali fällt…
In diesem Augenblick schien Amalie bewusst zu werden, dass ihre Gedanken hörbar waren, und zwei rote Flecken überzogen ihre Wangen. Sie starrte die beiden zornig an, es war ein goldenes Funkeln, dem Marguerida allerdings standhielt.
»Das ist alles wirklich sehr interessant, Domna, aber es beantwortet unsere Fragen nicht.« Margueridas Stimme war angespannt, und Mikhail wusste, dass der Grund dafür in der tatsächlichen oder eingebildeten Anwesenheit Asharas lag.
»Versteht Ihr mich denn noch nicht?« Amalie richtete ihre Frage an Mikhail, als wäre Marguerida gar nicht da.
»Nein, Domna. Wir verstehen nichts. Ihr habt uns bis jetzt nichts Brauchbares erzählt. Ist Euer Verstand vielleicht etwas getrübt?« Damit zahlte er ihr heim, dass sie ihn vorhin dumm genannt hatte. »Ganz und gar nicht!« Hinter der Bestimmtheit ihrer Worte lag Angst, ein kurzes Aufflackern von Besorgnis, über die sie allerdings rasch hinwegging. Doch Mikhail wusste plötzlich, dass sie fürchtete, den Verstand zu verlieren, und tatsächlich nicht weit davon entfernt war.
Amalie räusperte sich, warf Marguerida einen hasserfüllten Blick zu und begann zu reden. »Also gut. Ich werde mich um Klarheit bemühen. Vor siebzig Jahren gelang es Varzil Ridenow, ein Abkommen unter den Königreichen zu erzwingen, und er zerstörte mit seiner Macht die großen Matrixschirme. Ich bin natürlich viel zu jung, um mich an diese Zeit zu erinnern, aber mein Vater hat mir davon erzählt. Er war damals ein junger Mann und Mechaniker in Arilinn. Es muss einfach wundervoll gewesen sein!« Ihr schmales Gesicht leuchtete bei der Erinnerung.
»Haftfeuer und Knochenwasserstaub sollen wundervoll gewesen sein?«, fragte Marguerida in scharfem Ton. »Wohl kaum!« »Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr dieses unnatürliche Wesen zum Schweigen bringen könntet. Wie könnt Ihr es nur mit ihr aushallen?« »Wie meint Ihr das?« Halt einen Moment still, Marguerida. Ich weiß, du würdest sie am liebsten am Schlafittchen packen, aber hab bitte Geduld.
Ja, Liebster, aber das wird nicht leicht. Ich würde viel dafür geben, wenn ich jetzt explodieren dürfte!
»Sie strömt das Laran der Oberwelt aus. Was für ein Geschöpf ist sie überhaupt?«
»Margarethe ist ein ganz normaler Mensch, Amalie. Wieso sollte sie etwas anderes sein?«
»Ein Mensch?« Amalie schauderte und blickte ins Feuer. »Das bezweifle ich doch sehr! Sie erinnert mich … ach, was soll’s.« »Also schön. Ihr sagtet, Varzil zwang die Königreiche dazu, sich nicht mehr zu bekriegen, und er zerstörte die großen Matrixschirme. Das hört sich gut an.«
»Die Türme können ohne Matrizen nicht existieren. Man fand schließlich neue, kleinere als vorher, allerdings nicht ohne Macht. Doch die ganze Sache hat nicht besonders gut funktioniert, denn auch wenn Männer vom Frieden faseln, bereiten sie doch heimlich den Krieg vor. Es stimmt, man schickt kein Haftfeuer mehr gegeneinander, aber bald wird man es wieder tun. Damals wurden nicht die gesamten Bestände vernichtet, ebenso wenig wie alle großen Schirme. Es gibt viele geheime Verstecke, die nicht einmal Varzil entdecken konnte.«
»Verstehe.« Mikhail hatte immer den Eindruck gehabt, dass nach Abschluss des Vertrags der Friede Einzug auf Darkover gehalten hatte. Doch im Laufe der Jahrhunderte waren zahl
reiche Aufzeichnungen verloren gegangen. Er kannte nicht einmal den genauen Zeitpunkt, zu dem der Turm von Hali vollständig zerstört wurde. Er konnte nur hoffen, dass es nicht gerade jetzt passierte, während er und Marguerida dort waren.
»Das ist jedoch nicht das einzige Problem. Unbedeutende Königreiche, die um die Macht wetteifern, sind noch das geringste Übel. Varzil
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