Die Schattenmatrix - 20
ermöglichte es Frauen wie mir, Bewah-rerin zu werden, weil er entdeckte, dass wir fähiger sind als die Männer. Allerdings traf er keine gute Wahl.« Es war, als ob ihre Zunge, die sie zuvor so gut gehütet hatte, sich endlich lösen würde. »Nein?«
»Seine Favoritin war ein Geschöpf namens Ashara Alton. Sie war die stellvertretende Bewahrerin in Neskaya und nach Varzils Weggang von dort Bewahrerin, und sie kam schließlich für einige Zeit nach Hali. Nachdem Varzil den See wiederhergestellt hatte, beschloss er, sich zur Ruhe zu setzen, und Ashara wurde hier in Hali zur Bewahrerin berufen. Sie war sehr mächtig, auch wenn ihr keine großen Schirme zur Verfügung standen. Als ich hierher kam, war sie seit dreißig Jahren Bewahrerin, und ich wurde unter ihr ausgebildet. Aber sie ist verderbt. Irgendetwas in ihrer Natur ist böse.« »Ist?«, kreischte Marguerida unwillkürlich. »Wollt Ihr damit sagen, sie lebt noch?« Ich wusste es! Es war keine Einbildung! Sie lebt, jetzt, in dieser Zeit, und sie wird mich finden und töten! Mikhail konnte Margueridas schreckliche Angst spüren, und er wusste, dass auch Amalie sie spürte.
Amalie sah Marguerida ernst und argwöhnisch an. »Halte deine Zunge im Zaum, du abscheuliche Hexe! Bist du etwa mit ihr im Bunde? Ich hätte es mir gleich denken können! Sobald ich deine Stimme hörte, hätte ich es wissen müssen.«
»Ashara Alton war meine ärgste Feindin«, sagte Marguerida langsam.
»War?« Amalie schien einen Moment verwirrt. »Das behauptest du, aber ich glaube dir nicht, denn du bist ihr zu ähnlich. Dieselbe Kälte, dieselbe eisige Art. Du bist ihr Geschöpf!«
0 Gott, Mik. Was, wenn sie Recht hat?
Sie hat nicht Recht. Wenn du anders wärst, als du glaubst, würde es Istvana wissen.
»Ihr scheint Ashara noch mehr zu fürchten als Dom Padraic und Dom Kieran.«
»Wir haben Ashara aus Hali vertrieben - wir alle hier und mit uns noch die Hälfte aller Laranzu der Welt. Wir konnten es nur mit vereinten Kräften schaffen, denn sie ist eins von Zandrus ureigenen Geschöpfen. Mein Bruder starb hier, sein Blut spritzte auf diese Steine, und vielen anderen erging es ebenso. Sie hat jedoch überlebt, und auch ihre Kräfte wurden nicht zerstört. Jetzt sitzt sie in Thendara wie eine Spinne, webt an ihrem Verrat und wartet darauf, dass sie nach Hali zurückkehren kann. Oh, sie gibt natürlich vor, nur als Ratgeberin beim Bau der neuen Burg und in Staatsangelegenheiten tätig zu sein, aber sie hat die Hasturs fest in ihrer Gewalt, und es ist völlig gleichgültig, ob Hali an meinen Vetter oder an den Streiter des Königs fällt. Sie wird ihren Platz so oder so zurückfordern.«
Amalie kniff die Augen zusammen, die Pupillen waren so klein, dass sie im flackernden Licht des Kamins kaum zu sehen waren. Sie zitterte beim Gedanken an jene Ereignisse, die sie offensichtlich noch mehrmals erlebt hatte. Mikhail fing grauenvolle Bilder von aufgedunsenen Leichen auf, die vor Verwesung stanken, aber er hatte keine Ahnung, ob sie aus der Vergangenheit oder aus der Zukunft stammten. Zweifellos hatte die arme, verängstigte Amalie allen Grund, um ihren Verstand zu fürchten.
»Aber wenn Ashara den Turm haben will, wieso seid Ihr dann so sehr davon überzeugt, dass er zerstört wird?«
»Weil sie ihn niemand anderen überlassen wird, wenn sie ihn nicht selbst beherrschen kann! Und Varzil lebt nicht mehr lange. Er hält seit Wochen durch, als würde er noch auf etwas warten, aber er wird bald sterben, und dann bin ich endgültig verloren. Sie wird mich foltern, wie sie es mit den anderen auch gemacht hat.« Die Bewahrerin schauderte, und Tränen liefen ihr über die hageren Wangen.
Mikhail merkte, wie sich Marguerida neben ihm regte, ihre Angst schwand langsam, und ihr Entschluss festigte sich. Sie öffnete und schloss die linke Hand, wie eine Katze, bevor sie mit den Krallen zuschlägt. Mikhail stand auf. Er kam sich gefangen vor zwischen diesen beiden Frauen, die so außer sich waren, dass er weder die Gedanken der einen noch der anderen klar lesen konnte. Amalie versuchte offenkundig etwas zu verbergen, und Marguerida stand kurz vor einer Verzweiflungstat.
»Ich muss unbedingt Varzil sehen.« Kaum hatte Mikhail es ausgesprochen, empfand er tiefe Erleichterung und wusste plötzlich, dass er und Marguerida hier waren, um Varzil zu suchen. Er spürte ein Kribbeln unter dem Brustbein, eine Wärme, die sich in seinem ganzen Körper ausdehnte und beruhigend auf ihn wirkte. »Nein!« Amalie sah
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