Die Schattenmatrix - 20
noch Onkel Regis und Lady Lin-nea kamen ihm so vor, als wären sie auch nur ansatzweise in ihren geistigen Kräften vereinigt. Und das hatte Varzil doch offenbar gemeint. Der Gedanke war bemerkenswert, aber Mikhail war sich nicht sicher, ob er ihm tatsächlich gewachsen war.
Marguerida stand auf und gesellte sich zu den beiden. Mikhail spürte, wie ihr scharfer Verstand Varzils Aussage verarbeitete, wie er zunächst das Konzept erfasste, es dann in Stücke riss und schließlich wieder zum ursprünglichen Ganzen zusammensetzte. Dass sie in Sekunden fertig brachte, wofür sein eigener Verstand eine halbe Ewigkeit brauchte, erfüllte ihn mit Stolz, doch er ärgerte sich auch darüber. Margueridas Geist war wie ein leuchtender Pfeil, sein eigener dagegen eher wie ein schwerer Hammer, der auf die Dinge einschlagen musste, bevor er sie verstand.
»Ich kann nachvollziehen, was Ihr wollt, und es klingt sinnvoll.« Marguerida blickte zu der Gestalt auf der Liege hinab. »Aber wie wollt Ihr es anstellen? Lauert hier vielleicht irgendwo ein Priester zwischen den Steinen?«
Mikhail lächelte. »Wir haben es nicht so mit Priestern auf Darkover, Marguerida. Es sei denn, du zählst die Cristoforos dazu. Jedes Familienoberhaupt der Comyn kann das Ritual vollziehen - mein Vater hätte dich und Gabriel ganz rechtmä
ßig zusammenschließen können, wenn er den Mut gehabt hätte, dich knebeln zu lassen.«
»Oder unter Drogen zu setzen«, murmelte sie.
»Für beide Möglichkeiten fehlt es ihm an Fantasie. Und selbst wenn er die besäße, hätte er es wahrscheinlich nicht getan, weil es zu viel Gerede verursacht hätte, und mein Vater mag es nicht, wenn die Leute über ihn reden.« Die beiden vergaßen bei ihrem Gespräch über Dom Gabriel fast den alten Mann auf der Liege.
Er meldete sich mit einem Hüsteln wieder zu Wort. »Wisst ihr, warum der Armreif der Frau stets größer ist als der des Mannes?« »Nein, Varzil. Das gehört zu den vielen Dingen auf Darkover, von denen jeder annimmt, dass ich sie weiß, deshalb erklärt sie mir auch niemand.« Marguerida klang barsch und ungeduldig.
»Ich weiß es auch nicht«, gab Mikhail zu. Marguerida erstaunte ihn. Wahrscheinlich würde sie selbst Zandru noch anfauchen. Er wusste, dass sie es nicht aus Furchtlosigkeit tat; Marguerida war so müde, dass ihr alles egal war. Dann bemerkte er, dass seine Verwirrung abnahm. Er fürchtete sich, aber auf eine unpersönliche Art. Was hatte dieses Wasser enthalten? Er war mit einem Mal klarer im Kopf, und selbst sein Hunger war vergangen.
Der Gedanke, dass er tatsächlich seine Geliebte heiraten würde, setzte sich langsam in seinem Kopf fest und breitete sich dort aus. Es erschien ihm richtig und falsch zugleich. Erst fragte er sich noch, warum, doch dann fiel ihm ein, dass sie zu dieser Ehe gedrängt wurden und dass ihre Gefühle gar keine Rolle spielten. Sie mussten heiraten, und zwar sofort.
Bevor Mikhail seine komplizierte Gefühlslage entwirren konnte, fuhr auch schon Varzil fort: »Die Frau trägt das größere Armband, weil sie die größere Kraft besitzt - die Kraft,
Kinder zur Welt zu bringen. In einem ganz besonderen Sinn ist die Frau die Größere in einer Ehe, Margarethe, nicht die Geringere.« »Ich verstehe. Und deshalb habt ihr eure Frauen jahrhundertelang eingesperrt, mit Schwangerschaften umgebracht und als Dienerinnen gehalten.« Mikhail zuckte bei der Bitterkeit ihres Tonfalls zusammen.
»Es gibt keine vollkommenen Systeme, Margarethe«, sagte Varzil unberührt von ihrer Kritik.
»Nein, vermutlich nicht.« Sie klang wütend und traurig zugleich. »Machen wir weiter, bevor ich …« Sie sah Mikhail aus goldenen Augen an, und ihre Züge wurden weicher. »Wir sind füreinander bestimmt, das weißt du. Wir waren es immer. Aber ich kann nichts dafür, dass ich mir saubere Kleidung, ein heißes Bad und eine Menge Blumen wünsche. Und meinen Vater, ich möchte meinen Vater dabeihaben.« Mikhail sah Tränen in ihren Augen glitzern. Er zog sie an sich. Nicht traurig sein, Liebste. Ich weiß, das hier ist nicht, was du dir vielleicht gewünscht hast, aber ich liebe dich von ganzem Herzen.
Ich weiß, Mik, und ich liebe dich auch. Aber ich komme mir trotzdem gehetzt vor. Ich hätte nie gedacht, dass ich eine romantische Ader besitze, aber ich scheine gleich mehrere davon zu haben, und die wünschen sich Musik und ein schönes Kleid. Du hast die Prozessionshymne von Kotzwold wahrscheinlich nie gehört, und es gibt ohnehin auf ganz Darkover keine
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