Die Schattenmatrix - 20
an der Nase herumgeführt hatte, die kleine Kräuterhexe. Er hatte seine Schwester rufen müssen, damit sie ihn rettete - die Schande nagte immer noch an ihm.
Mikhail trat im Geiste einen Schritt zurück und betrachtete seine Lage mit einer kühlen Distanz, die ihn selbst überraschte. Warum sollte er diesem tattrigen Alten oder selbst seiner geliebten Marguerida trauen - einer halb ausgebildeten Frau, der in der Oberwelt ein rätselhaftes Machtinstrument in die Haut gebrannt worden war. Daraufgab es keine Antwort und keine Sicherheit, nur eine schwache Hoffnung, die ihm zerbrechlich und unzuverlässig erschien.
Varzil beobachtete ihn mit feuchten Augen und voller Mitgefühl, als spürte er, welcher Kampf in Mikhails Seele tobte. Natürlich - Varzil war ein Ridenow, und deren Gabe war die Empathie! Mikhail wollte kein Mitleid! Er wollte nur weg von dieser Zeit und diesem Ort, irgendwohin, wo seine Möglichkeiten nicht so beschränkt waren, wo er nicht das Gefühl hatte, dass seine Seele in Stücke gerissen wurde. In diesem Augenblick bewegte Marguerida ihre Hand, eine Geste, die Mikhails Aufmerksamkeit weckte, und er sah die Linien wie Blitze über ihre blasse Haut zucken. Margueridas Augen waren verschwommen und blickten ins Leere, ihr Mund war verzerrt, als hielte sie einen fürchterlichen Laut zurück. Kleine Schweißperlen traten auf ihrer Stirn unter dem Wirrwarr von Locken hervor und glitzerten feucht in dem weichen Licht, das von ihrer Hand ausging und flackernde Schatten über ihre Nase und den fest verschlossenen Mund warf.
Mikhail erkannte, dass sie gegen ihre eigenen Dämonen ankämpfte, wie er selbst es noch einen Augenblick zuvor getan hatte. Der Anblick ihres lautlosen Kampfes raubte ihm den Mut - er wollte gar nicht wissen, was sie so quälte. Aber wenn sie ihrem Dämon ins Auge sehen konnte, dann musste es ihm ebenfalls gelingen, wenn er Margueridas würdig sein wollte. Nein - wenn er seiner selbst würdig sein wollte.
Achtung jetzt, Kinder!
Mikhail versuchte, sich dem Befehl zu widersetzen, doch er konnte es nicht. Sein Blick wurde von Marguerida abgelenkt und kam schließlich auf dem friedlichen Gesicht des alten Mannes zu ruhen, dessen Züge irgendwie anders waren, jünger, glatter und markanter, als wäre er rückwärts durch die Zeit gereist.
Hinter Varzil sah er die alte Dienerin. Sie stand am Ende der Liege und legte die Hände auf seine Schultern. Mikhail spürte fast, wie sich ihre Kraft auf den Alten übertrug, dessen Gesicht mit jeder Sekunde jünger wurde. Irgendetwas an der Art, wie sie ihm half, kam ihm sehr bedeutsam vor, und er sehnte sich regelrecht danach, es zu verstehen. Und vor seinen Augen verschwamm das Gesicht des alten Weibs und verwandelte sich. Die Frau wurde jung und schön, wie Varzil auch, und ihre Haut glänzte hell.
Mikhail musste den Blick senken, weil die Strahlung, die von der Frau ausging, zu stark wurde. Nicht dass seine Augen das Licht nicht ertragen konnten - seine Seele konnte es nicht. Und während er auf den Boden sah, bekam er zu fassen, was er die ganze Zeit zu verstehen suchte: Es war keine Schande und kein Verlust von Männlichkeit, die Hilfe einer Frau anzunehmen - aber man durfte sie auf keinen Fall für selbstverständlich halten oder missbrauchen. Die Hilfe einer Frau war ein Geschenk, eins, von dessen Existenz er bisher nichts gewusst hatte und das ihn bis ins Mark erschütterte. Das Licht der Frau erfüllte den Raum, und Mikhails Knie beugten sich ohne sein Zutun. Er kniete auf dem kalten Steinboden nieder, so sehr von Ehrfurcht erfüllt, dass er glaubte, sein Herz müsste jeden Moment zu schlagen aufhören. Er hob die Augen zu der unheimlichen Helligkeit und sah in ein weiches Lächeln, das seine Angst und sämtliche Zweifel beiseite fegte. Er hätte sich bis ans Ende aller Zeiten in diesem Blick sonnen können.
Mikhail hatte die Hand fest um den Sternstein geschlossen, der ihm wie billiger Flitter erschien, unwürdig der Erscheinung, die ihn in ihrem Griff hielt. Er zitterte am ganzen Leib. Undeutlich war sich Mikhail der Leere in seiner Magengrube bewusst, der kalten Steine unter seinen Knien und seiner schmerzenden Muskeln. Doch diese ganz profanen Sorgen schienen zu einem anderen Mann in einer anderen Zeit zu gehören.
Dann spürte er Margueridas rechte Hand auf seinem Arm, ihre kühlen, weichen Finger auf seiner Haut. Sein Körper hörte bei ihrer Berührung auf zu beben, und er fühlte, wie ihre Ehrfurcht ihn durchströmte und seine durch
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