Die Schattenmatrix - 20
sie. In diesem Augenblick waren sie einander näher, als er es je für möglich gehalten hätte.
Marguerida kniete neben ihm, mit einem raschen Blick erfasste er ihre unbeschreibliche Freude, die seine eigene widerspiegelte. Ihre Augen glänzten feucht von den Tränen, die ihr über die Wangen liefen und dann auf den Kragen ihres Gewandes tropften. Wir sind hier versammelt, um diese Frau, Margarethe von Windhaven, und diesen Mann, Mikhail Raven von Ridenow, zu einer Seele, einem Geist und einem Herz zu verbinden. Wir erflehen den Segen der Götter für diese Verbindung. Margarethe, willst du diesen Mann mit Leib und Seele ehren, solange du lebst? Mikhail wartete, denn von Marguerida kam - eine Ewigkeit, wie ihm schien - keine Antwort. Währenddessen fiel ihm auf, dass er die Zeremonie, die Varzil abhielt, noch nie zuvor gehört hatte, und dass sie Worte ausließ, die ihm vertraut waren. Auch die Namen waren falsch. Doch dann fiel ihm ein, dass Varzil sie mit keinen anderen Namen kannte. Oder vielleicht gab es auch einen komplizierteren Grund, ihre Identität zu verschleiern.
Ich will ihn ehren, solange ich lebe.
Und gelobst du, Mikhal Raven von Ridenow, dieser Frau mit Leib und Seele zu dienen, solange du lebst?
Ihr dienen? Das kam ihm sehr merkwürdig vor, es war eine Umkehrung des Ehegelöbnisses, wie er es kannte, und er zögerte einen Moment. Doch dann überwältigte ihn die plötzliche Erkenntnis, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als dieser Frau zu dienen. Die Worte spielten keine Rolle, nur die Absicht zählte. Ich gelobe, dieser Frau mit Leib und Seele zu dienen, solange ich lebe.
Die Antwort löste ein tiefes Gefühl in Mikhail aus, dass es so sein solle, und Varzils Helferin lächelte noch süßer, so dass er sich für einen Augenblick leicht wie eine Feder fühlte. Er spürte, wie Margueridas Finger sich fester um seinen Arm schlossen, sie waren ganz warm auf seiner Haut.
Varzil nahm den breiteren Armreif aus dem Kästchen auf seinem Schoß und legte ihn um Margueridas Handgelenk. Dann machte er dasselbe bei Mikhail, und das kühle Gewicht des Ringes wog schwerer, als er erwartet hatte.
Ich, Varzil von Ridenow, Herr über Hali, bezeuge diese Schwüre und erkläre sie für verbindlich für alle Zeiten. Diese beiden Menschen sind nicht nur durch Worte, sondern durch das Blut der Erde miteinander verbunden. Sie sind vereint in Leib und Seele, wie es von Anbeginn der Zeiten bestimmt war. Ich schwöre, sie sind eins, verschmolzen, vereint, unzertrennlich, bis ans Ende aller Tage.
Für einen Augenblick fühlte sich Mikhail befreit, als würde ein Faden gelöst, der ihn bis eben gefangen gehalten hatte. Er wusste, dass Marguerida das Gleiche empfand, als er ihr das Gesicht zuwandte, und er traf ihre Lippen, als hätte er nie zuvor eine Frau geküsst. Sie schmeckte nach Eintopf und Schweiß, und unglaublich, beinahe schmerzhaft süß; er wusste, er würde sich bis zu seinem letzten Atemzug an diesen Augenblick erinnern.
Gib mir nun deinen Matrixstein, Mikhal Raven von Ridenow. Hab keine Angst!
Mikhail öffnete seine schwitzende Hand bedächtig und wunderte sich, warum er keine Furcht empfand. Wenn Varzil seinen Stein berührte, konnte das Leben für ihn zu Ende sein. Aber er fühlte sich wie verzaubert und bewegte sich wie in einem Traum.
Mikhails kleiner Sternstein entschwebte seiner Hand, ein Sonnenstäubchen, das sogar noch das helle Licht, das von der lächelnden Frau hinter Varzil ausging, überstrahlte. Er überbrückte den Raum zwischen Mikhail und Varzil mit der Geschwindigkeit eines abendlichen Insekts und sank auf die gewaltige Matrix, die immer noch die Hand des Laranzu zierte. Mit einem Aufblitzen war der Stein verschwunden, und Mikhail wurde trotz Varzils Beteuerungen starr vor Angst.
Doch es folgte kein Schock, kein Trauma. Mikhail verspürte lediglich ein momentanes Schwindelgefühl, und dann hatte er den Eindruck, in den Stein einzutauchen. Er schwamm in dessen leuchtenden Facetten herum, geschüttelt von unsichtbaren Kräften, die ihn zu durchdringen schienen. Jede Zelle seines Körpers schien durchbohrt zu werden, ebenso wie jener andere Teil von ihm, von dessen Vorhandensein er bisher nichts gewusst hatte, die innere Flamme seines Wesens.
Als Mikhail Varzil ansah, blickte er in sein eigenes Gesicht, in seine eigenen blauen Augen, die in einem überirdischen Licht glänzten, auf seine goldenen Locken, die ihm lose in die Stirn fielen. Es war schockierend, schlimmer noch als der
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