Die Schattenplage
viel essen«, erwiderte er und verschlang den Rest seiner Pfannkuchen. »Außerdem muss ich nicht so auf meine Figur achten wie Gavin.«
»So ist das gar nicht«, protestierte Kendra und versuchte, nicht zu erröten.
»Er hat einen Drachen gezähmt, um dich zu retten«, fuhr Seth fort. »Außerdem ist er sechzehn, also hat er einen Führerschein.«
»Ich werde dir nie wieder was erzählen.«
»Das wird auch nicht nötig sein – dafür hast du ja jetzt Gavin.«
»Ärgere deine Schwester nicht«, tadelte Oma ihn. »Sie hat eine harte Woche hinter sich.«
»Ich wette, ich könnte auch Drachen zähmen«, sagte Seth. »Hab ich schon erwähnt, dass ich immun gegen Angst bin?«
»Ungefähr hundert Mal«, murrte Kendra und schob ihm ihren Teller hin. »Weißt du, Seth, ich habe mich gefragt, ob es wirklich möglich ist, dass eins dieser Tagebücher auf den Boden fällt und ausgerechnet so liegen bleibt, dass eine Seite über Kurisock aufgeschlagen ist. Tatsächlich fällt es mir sehr schwer, mir ein Spiel vorzustellen, bei dem überhaupt Bücher zu Boden fallen. Wie kann so was passieren? Wenn ich nicht wüsste, wie sinnlos Lesen ist, würde ich glatt meinen, du hättest die Tagebücher absichtlich studiert.«
Seth hielt den Blick auf seinen Teller gerichtet und schaufelte sich wortlos Essen in den Mund.
»Du brauchst nicht so schüchtern zu sein, was deine neue Liebe zum Lesen betrifft«, fuhr Kendra fort. »Weißt du was? Ich könnte dir helfen, dir einen Bibliotheksausweis zu verschaffen, dann kannst du dir etwas Abwechslung besorgen neben all den langweiligen alten …«
»Es war ein Notfall!«, platzte Seth heraus. »Lies es mir von den Lippen ab – Notfalllektüre –, nicht irgendeine geistesgestörte Vorstellung von Spaß. Wenn ich am Verhungern wäre, würde ich Spargel essen. Wenn jemand mir eine Pistole an den Kopf halten würde, würde ich mir eine Seifenoper ansehen. Und um Fabelheim zu retten, lese ich sogar ein Buch, okay? Bist du jetzt zufrieden?«
»Du solltest besser vorsichtig sein, Seth«, schaltete Oma sich ein. »Die Liebe zum Lesen kann sehr ansteckend sein.«
»Ich hab gerade den Appetit verloren«, erklärte er, erhob sich vom Tisch und stürmte aus dem Raum.
Kendra und Oma lachten.
Opa kam in die Küche und schaute über die Schulter in die Richtung, in die Seth verschwunden war. »Was hat der denn?«
»Kendra hat ihn beschuldigt, freiwillig gelesen zu haben«, erklärte Oma ernst.
Opa zog die Augenbrauen hoch. »Muss ich die Behörden verständigen?«
Oma schüttelte den Kopf. »Ich werde nicht zulassen, dass mein Enkelsohn die Demütigung ertragen muss, wie seine Lesegewohnheit öffentlich gemacht wird. Wir müssen selbst mit dieser Schande fertig werden.«
»Ich habe eine Idee, Opa«, verkündete Kendra.
»Die Fenster verbarrikadieren, damit die Paparazzi ihn nicht in flagranti erwischen?«, riet Opa.
Kendra kicherte. »Nein, eine richtige Idee, was Fabelheim betrifft.«
Opa bedeutete ihr fortzufahren.
»Wir sollten mit Lena sprechen. Wenn das, was Pattons Onkel zugestoßen ist, ein Geheimnis ist und Kurisock daran beteiligt war, könnte Lena vielleicht einige Einzelheiten beisteuern. Wir müssen so viel wie möglich über den Dämon herausfinden.«
Opa lächelte verschmitzt. »Ich gebe dir insofern recht, als dass ich bereits geplant habe, aus genau diesem Grund zum Teich zu gehen. Ganz zu schweigen davon, dass ich liebend gern erfahren würde, ob sie von dem Artefakt gehört hat, das Patton angeblich hierhergebracht hat.«
»Ich spreche ihre Sprache«, sagte Kendra. »Ich könnte direkt mit ihr reden.«
»Ich wünschte, ich könnte deine Hilfe annehmen«, entgegnete Opa. »Du bist intelligent und tüchtig, und ich glaube, mit deiner Hilfe wäre es tatsächlich einfacher, an Lena heranzukommen. Aber diese Seuche ist zu gefährlich – wir könnten unterwegs beide in Schatten verwandelt werden. Die Voraussetzung, unter der ich dir und deinem Bruder gestatte, in Fabelheim zu bleiben, ist die, dass ihr euch nicht aus dem Haus wagt, bevor wir besser verstehen, was dort draußen geschieht. Ihr zwei habt eure Sicherheit schon zu sehr aufs Spiel gesetzt.«
»Du bist der Boss«, sagte Kendra. »Ich dachte nur, dass ich vielleicht mehr Glück hätte, Lena zum Sprechen zu bringen. Wir brauchen Informationen.«
»Das ist wahr«, pflichtete Opa ihr bei. »Aber ich muss dein Angebot ablehnen. Ich werde nicht zulassen, dass du zu einem Schatten wirst. Sehe ich da noch ein paar
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