Die Schattenplage
gesehen. Konnte er ihn ein bisschen aufmuntern? Er begann hastig zu sprechen: »Beim ersten Mal war ich verantwortlich für all die Schwierigkeiten. Beim zweiten Mal hat Vanessa uns verraten. Du hast nie was falsch gemacht.«
»Und diesmal?«, fragte Opa, seine Stimme genauso ruhig wie traurig. »Ich habe nicht nur zugelassen, dass deine Schwester Tausende von Meilen entfernt in eine gefährliche Mission verstrickt wurde, ich habe auch meinen ältesten Freund ins Grab geschickt. Wie konnte ich nur die warnenden Vorzeichen übersehen?«
»Das Einzige, das dich als Verwalter untauglich machen könnte, wäre, wenn du solchen Unsinn glaubst«, sagte Tanu sanft. »Niemand konnte das kommen sehen. Denkst du, Coulter oder ich hätten uns den Feen so nachlässig genähert, hätten wir die Gefahr gespürt? Dies sind stürmische Zeiten. Fabelheim wurde absichtlich und von mächtigen Feinden angegriffen. Du hast es bisher durchgestanden, und wir ebenfalls. Ich bin über den halben Globus gereist, und ich kann mir niemanden vorstellen, den ich als Wächter über dieses Reservat lieber sehen würde als dich, Stan.«
»Ich stimme dem zu«, sagte Dale. »Vergiss nicht, wer den neuen Verwalter höchstwahrscheinlich ernennen würde, wenn du zurücktreten würdest, ohne einen Nachfolger zu benennen.«
»Der Sphinx?«, vermutete Seth.
»Seine Stimme hat unter den Bewahrern das größte Gewicht«, gab Opa zu.
»Coulter lebt wahrscheinlich und wartet irgendwo auf uns«, meinte Tanu. »Reiß dich zusammen, Stan. Wir brauchen einen Plan.«
»Danke, Tanu, Dale, Seth.« Opa schürzte die Lippen, und seine Augen wurden hart. »Wir brauchen Informationen. Der Sphinx ist nicht zu erreichen. Angesichts der äußerst prekären Situation denke ich, es wird Zeit, zu erkunden, was Vanessa sonst noch weiß.«
Slaggo und Voorsh führten einen mageren, vogelähnlichen Humanoiden durch den feuchten Kerkerflur. Der gefesselte Gefangene hatte einen Kopf wie eine Möwe und war bedeckt mit grauem, von der Mauser unregelmäßigem Gefieder. Slaggo hielt eine Fackel in der Hand, Opa ging neben ihm und beleuchtete das Trio mit einer Taschenlampe. Als der Taschenlampenstrahl sich zu weit nach oben verirrte und sich in den schwarzen Knopfaugen des Vogelmannes widerspiegelte, warf dieser den Kopf zurück und stieß einen grimmigen, schrillen Schrei aus. Voorsh riss an der Kette, die an dem eisernen Kragen des Gefangenen hing, und der mürrische Vogelmann stolperte zur Seite. Opa schaltete die Taschenlampe aus.
»Bereit?«, fragte Opa und musterte Tanu, Dale und Oma. Tanu hielt die Handschellen hoch, Dale umklammerte seinen Knüppel, und Oma spannte ihre Armbrust. Alle nickten kurz.
Opa öffnete die Vorderseite der Stillen Kiste, und der freie Platz für den neuen Insassen kam zum Vorschein. Die Goblin-Wächter führten den Vogelmann in die Kiste. Opa verschloss die Tür, die Kiste drehte sich halb um ihre eigene Achse und drehte ihnen jetzt die Tür auf der anderen Seite zu. Opa öffnete sie. Dahinter stand Vanessa, bekleidet mit einem alten Hausmantel von Oma, ein schwaches Lächeln auf den Lippen. Ihre eleganten Gesichtszüge waren selbst im schwachen Licht hier unten deutlich erkennbar. Ihre Haut hatte weniger Farbe als beim letzten Mal, als Seth sie gesehen hatte, aber ihre dunklen Augen leuchteten. Er musste zugeben, dass sie immer noch verblüffend schön war.
»Wie viel Zeit ist vergangen?«, fragte sie, als sie aus der Kiste trat und Tanu die Hände hinstreckte, damit er sie fesseln konnte.
»Sechs Wochen«, antwortete Opa, während Tanu ihr die Handschellen anlegte.
»Wo sind meine Tiere?«
»Wir haben einige freigelassen«, sagte Opa. »Andere haben wir Leuten gegeben, die besser in der Lage sind, für sie zu sorgen.«
Vanessa nickte, als sei sie damit zufrieden. Ihr schwaches Lächeln wurde zu einem Grinsen. »Lasst mich raten. Kendra ist nicht mehr hier, und irgendeine Katastrophe braut sich in Fabelheim zusammen.«
Opa und Oma tauschten einen vorsichtigen Blick. »Woher wissen Sie das?«, fragte Oma.
Vanessa streckte die gefesselten Hände hoch über den Kopf und drückte den Rücken durch. Dann schloss sie die Augen. »Manche Vorsichtsmaßnahmen des Sphinx sind berechenbar, wenn man erst verstanden hat, wie er zuwerke geht. Deshalb habe ich auch nichts anderes erwartet, als dass er mir in den Rücken fallen und mich in diese elende Kiste sperren würde.«
»Wie haben Sie dies vorausgesehen?«, wollte Opa wissen.
Mit
Weitere Kostenlose Bücher