Die Schattenplage
zähe Raubtiere, tödlich unter gewissen Bedingungen, aber nicht übermäßig geschickt, wenn es darum geht, sich selbst zu verteidigen. Und wir haben eine Möglichkeit gefunden, für sie zu sorgen, ohne ihnen zu gestatten, jemandem Schaden zuzufügen – eine Möglichkeit also, die Spezies zu erhalten, und das tun wir, ob es nun ein wenig unappetitlich ist oder nicht. Darin unterscheiden wir uns nicht allzu sehr von einem Naturschützer, der versucht, hässliche Fledermäuse, Spinnen oder Moskitos vor dem Aussterben zu bewahren. Diese Zufluchten dienen dazu, alle magischen Geschöpfe zu beschützen, die schönen und die hässlichen gleichermaßen.«
»Klingt vernünftig, schätze ich«, erwiderte Kendra. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich im Wagen warte?«
»Wie du willst«, sagte Hal und warf ihr die Schlüssel zu. Sie prallten von ihren Fingern ab und fielen neben einem der Schläuche auf den trockenen Boden. Nach einem kurzen Zögern hob Kendra sie auf und lief vom Friedhof in Richtung Wagen.
Während sie sich dem Truck näherte, wünschte sie sich für einen Moment, sie könnte mit ihrem Bruder tauschen. Zombies in ihren Gräbern mit blutigen Mahlzeiten zu füttern, käme Seths Vorstellung vom Paradies wahrscheinlich ziemlich nahe. Und sie hätte mit Freuden die Tage bei ihren Großeltern verbracht, alte Tagebücher gelesen und in einem vertrauten Bett geschlafen.
Sobald sie eingestiegen war, drehte Kendra die Klimaanlage voll auf und richtete die lauwarmen Ströme aus allen Luftschächten direkt auf sich, was aber nur geringfügig anders war als der Versuch, sich mit Hilfe eines Haarföhns abzukühlen. Sie stellte sich vor, wie sie an einem heißen Tag vor einer Horde ausgehungerter Zombies davonlief, mit einem Herzinfarkt zusammenbrach und verschlungen wurde. Dann malte sie sich aus, wie Hal bei ihrer Beerdigung eine anrührende Rede auf sie hielt und erklärte, dass ihr Tod ein bewundernswertes Opfer gewesen sei, das es den noblen Zombies ermöglicht habe, weiterzuleben und somit auch künftige Generationen mit ihrem Appetit auf Menschenfleisch zu erfreuen. Bei Kendras Glück konnte das durchaus passieren.
Hal und Gavin kehrten schließlich vom Friedhof zurück. »Ich habe fast meinen ganzen Brei verbraucht«, sagte Hal. »Nur gut, dass ich immer mehr mitbringe, als ich brauche. Zwanzig Glocken sind das, was ich ein volles Tagewerk nennen würde. Zweiunddreißig sind schon fast ein Rekord.«
»W-W-Wohin jetzt?«, fragte Gavin. Kendra bemerkte, dass er die Hände zu Fäusten ballte, wenn er stotterte.
»Wir werden uns ein paar Sehenswürdigkeiten anschauen und dann wieder zurück zum Museum fahren.« Hal kutschierte sie zu einer alten Mühle mit einem abgedeckten Brunnen davor. Dann zeigte er ihnen die bewässerten Felder, auf denen eine Gruppe von Männern und Frauen sich abplagte, um Mais und anderes Getreide anzubauen. Er machte sie auf eine schalenförmige Senke im Boden aufmerksam, wo angeblich ein Meteor eingeschlagen war, und fuhr sie um einen gewaltigen Josuabaum mit Hunderten von Ästen herum. Schließlich kamen die Hazienda und der Pueblo-Komplex wieder in Sicht, und Hal hielt vor dem Museum an. Kendra und Gavin folgten ihm zu einer kleinen Tür neben zwei großen Rolltoren. Hal schloss auf, und sie traten ein.
Die Halle bestand nur aus einem einzigen Raum. Tageslicht flutete durch hohe Fenster herein.
»Willkommen im Museum der Unnatürlichen Geschichte«, sagte Hal. »Der weltgrößten Sammlung vollständig erhaltener Skelette magischer Geschöpfe und anderer Paraphernalien.«
Direkt vor Kendra ragte ein doppelt mannshohes, menschenähnliches Skelett auf. Der Schädel lief zu einer stumpfen Spitze aus und hatte drei Augenhöhlen, die wie die Punkte eines Dreiecks arrangiert waren. Auf einer Bronzetafel wurde die Kreatur als Mesopotamischer Triklop bezeichnet.
Hinter dem ersten Skelett befanden sich viele weitere: das Skelett eines Pferdes mit menschlichem Oberkörper statt eines Halses mitsamt Pferdekopf; das Skelett eines Ogers, das so positioniert war, als kämpfe der Oger gegen neun zwergenhafte Gegner; ein Kuhschädel von der Größe eines Wohnmobils; ein Mobile aus zierlichen Feenskeletten; und ein titanisches, menschenähnliches Skelett mit gebogenen Reißzähnen und überproportional dicken Knochen, das fast zu der hohen Decke aufragte. Und es gab auch noch andere exotische Ausstellungsstücke. Eine riesige, schuppige Haut hing an Haken, schlaff und trocken und anscheinend
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