Die Schattenplage
abgestreift von einem Geschöpf mit vier Armen und einem Schlangenkörper. Eine bunte Sammlung von Eierschalen, großen und kleinen, war in einer Glasvitrine arrangiert. Seltsame Waffen und Rüstungen säumten eine ganze Wand. Über einer Tür verzweigte sich ein riesiges, goldenes Geweih.
Ungeachtet all dieser aufmerksamkeitheischenden Ausstellungsstücke stolzierte Gavin sofort auf etwas zu, das zweifellos die Hauptattraktion war. Kendra und Hal liefen hinter ihm her und holten ihn ein, als er, die Hände in die Hüften gestemmt, in der Mitte des Raums stehen blieb:
Hinter einem Geländer stand das Skelett eines gewaltigen Drachen, das ein Viertel der gesamten Fläche der Halle beanspruchte. Kendra betrachtete die langen, schlanken Knochen der Flügel, die rasiermesserscharfen Klauen an den vier Füßen, die Wirbel des gewundenen Schwanzes und des eleganten Halses sowie die grimmigen Zähne des massiven, gehörnten Schädels. Die milchigen Knochen waren halb durchsichtig, als bestünden sie aus trübem Glas oder Quarz, und verliehen dem gewaltigen Skelett ein ätherisches Aussehen.
»Wer wagt es, echte Drachenknochen auszustellen?«, schäumte Gavin mit zusammengebissenen Zähnen.
»Echte Knochen, du sagst es«, meinte Hal. »Im Gegensatz zu einigen der Ausstellungsstücke, die Nachbildungen sind und was weiß ich noch alles, ist dies das vollständige Skelett eines Drachen, der tatsächlich gelebt hat. Ich wünsche dir viel Glück bei der Suche nach einem weiteren Skelett wie diesem.«
»Wer hat das getan?«, fragte Gavin mit flammenden Augen.
Hal schien endlich zu bemerken, wie aufgebracht Gavin war. »Direkt vor dir hängt eine Tafel.«
Gavin stürmte nach vorn und las die Bronzetafel am Geländer.
Der Welt einziges vollständiges Skelett
eines ausgewachsenen männlichen Drachen.
Es wird vermutet, dass es sich
um Ranticus den Unbesiegbaren handelt.
Gespendet von Patton Burgess
1901
Gavin umklammerte das Geländer so fest, dass die Sehnen auf seinen Handrücken hervortraten. Er schnappte bebend nach Luft, dann wirbelte er herum, den Körper angespannt, und starrte Hal an, als wäre er kurz davor, auf ihn einzudreschen. »Hat keiner hier je gehört, dass die Überreste eines Drachen heilig sind?!«
Hal erwiderte seinen Blick ungerührt. »Du hast eine besondere Beziehung zu Drachen, Gavin?«
Gavin schaute zu Boden, und sein Körper erschlaffte. Nach einigen Sekunden sagte er mit etwas ruhigerer Stimme: »M-Mein Dad hat mit Drachen gearbeitet.«
»Donnerwetter«, erwiderte Hal bewundernd. »Nicht viele Männer haben die Konstitution für diese Art von Arbeit. Hast du was dagegen, wenn ich nach dem Namen deines Dads frage?«
»Charlie Rose«, sagte Gavin, ohne den Blick zu heben.
»Dein Dad ist Chuck Rose?«, stieß Hal hervor. »Er ist der einzige Drachenzähmer, der diesen Namen zumindest halbwegs verdient, seit Patton persönlich! Ich wusste gar nicht, dass Chuck einen Sohn hat! Natürlich war er immer ein klein wenig heimlichtuerisch. Wie geht es deinem alten Herrn?«
»Er ist tot.«
Hal sah betroffen aus. »Oh. Davon wusste ich nichts. Es tut mir leid, wirklich. Kein Wunder, dass dir beim Anblick eines Drachenskeletts unbehaglich wird.«
»Dad hat hart darum gekämpft, Drachen zu schützen«, sagte Gavin und hob endlich den Blick. »Ihr Wohlergehen war seine oberste Priorität. Er hat mich viel über Drachen gelehrt. Über Patton Burgess weiß ich nicht viel.«
»Patton ist seit sechzig Jahren tot. Es scheint mir nur logisch, dass dein Vater nicht allzu viel von ihm gesprochen hat. Jene, die Drachen lieben, meiden dieses Thema, wenn möglich. Den Gerüchten nach – die nie bestätigt worden sind, wohlgemerkt – war Patton der letzte Mensch in der Geschichte, der einen voll ausgewachsenen Drachen getötet hat.«
Kendra bemühte sich um einen gelassenen Gesichtsausdruck. Wenn sie offenbarte, dass sie über Patton Burgess Bescheid wusste, würde sie das mit Fabelheim in Verbindung bringen. Es war besser, so zu tun, als wisse sie nichts über das Thema.
»Er hat einen voll ausgewachsenen Drachen getötet?«, fragte Gavin mit einem Lächeln. Er glaubte offensichtlich kein Wort. »Hat er behauptet, er habe diesen Drachen getötet?«
»Wie mein Großvater mir erzählte – und er kannte Burgess –, hat Patton nie behauptet, je einen Drachen getötet zu haben. Tatsache ist, dass er genau das Gegenteil behauptete. In diesem Fall sagte Patton, er habe den alten Ranticus gefunden, als er
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