Die Schattenseherin: Roman (German Edition)
könntest. Bis da vorne, um die Ecke. Und dort wartest du eine Weile, sagen wir zwei Stunden. Würdest du das für mich tun, Liebling?«, fragte er lächelnd, und sie nickte diesmal, eifrig wie eine willige Schülerin.
»Gut«, sagte Cale und ließ sie los. Es dauerte einen Moment, ehe auch sie so weit war, sich von ihm zu lösen, aber mit einem letzten sehnsüchtigen Blick wandte sie sich ab und verschwand den Gang hinunter.
› Halt sie dir warm‹, meldete Caes sich. › Falls du später noch zur Vernunft kommen solltest.‹
Cale seufzte leise. Er stieß die Schirmmütze am Boden mit dem Fuß beiseite und öffnete die Tür. Die Papiersiegel zerrissen mühelos, und Cale trat rasch ein. Er schloss die Tür wieder hinter sich und schaltete das Licht an. Der Lichtschalter fühlte sich seltsam an – als die Glühbirne brannte, erkannte Cale, wieso. Getrocknetes Blut hatte sich darauf abgelagert. › Stinkt wie Imp-Blut‹ , brummte Caes, und Cale musste ihm recht geben. Das Blut trug eine bittere, faulige Note mit sich. Der Wirt änderte den Menschen, der ihn trug und Cale hätte gewettet, dass sein Blut ebenfalls anders roch und schmeckte. Vielleicht nicht unbedingt wie dieses hier. Von Caes wusste Cale, dass Imps so rochen – sie standen auf der höllischen Hierarchieleiter tief unten und wurden von den anderen Dämonen gemieden. Caes war als Inkubus geschaffen worden und besaß mächtige Fähigkeiten, die auch Cale nutzen konnte. Kraft aus Sex zu ziehen oder die Träume von Sterblichen zu begehen, zum Beispiel. Oder auch die feinen Sinne, mit denen Cale den abgedunkelten Raum begutachtete. Dank Caes nahm er die feinen Unterschiede der Gerüche im Zimmer wahr. Unter dem Blut lag auch noch Schweiß in der Luft. Etwas frischer von den Polizisten, die den Tatort untersucht hatten, älterer von Ezekiel und der Frau.
›Er hat seine Arbeit zu Ende gebracht‹ , brummte Caes, und Cale roch es auch – der schwere Geruch von Samen und der würzige Duft weiblicher Nässe, beides vermischt und versickert in den Laken. › Ich hätte mir denken können, dass du ausgerechnet das als Nächstes witterst. ‹
›Ich kann nicht aus meiner Haut. Ich kann ja nicht einmal aus deiner Haut!‹
Cale ging auf Caes’ Sticheleien nicht weiter ein. Er betrachtete das riesige Bett an der Wand. Die Leichen hatte man bereits abtransportiert, aber das Bett würde wohl erst am nächsten Tag von den Tatortreinigern besucht werden. › Dort ist es also passiert ‹ , dachte Cale.
›Wir haben nur zwei Stunden Zeit, wahrscheinlich weniger, wenn die Ablösung der Kleinen da draußen kommt. Und sofern du dich nicht mit ihr in den blutigen Laken wälzen willst und deshalb wie ein wartender Idiot hier herumstehst, würde ich vorschlagen, du fängst an.‹
Der Aufforderung des Inkubus folgend, trat Cale ans Bett. Er legte seine flache Hand auf das Laken mit den großen, braun getrockneten Flecken und schloss die Augen. Er spürte Ezekiels Präsenz – der Dämon war eindeutig hier gewesen. Lexa hatte recht gehabt.
Cale sah auf das Bett. Die eine Seite war noch fast weiß, wahrscheinlich hatte die Frau dort gelegen. Aber Ezekiels Seite war dunkel. Cale konnte fast die Umrisse erahnen, die der leblose Körper darauf hinterlassen hatte. Er schloss die Augen. »Es tut mir leid, mein Alter«, murmelte er und malte die Rune, die zu Ezekiels Namen gehört hatte, auf die eingetrockneten Laken. Es dauerte einen Moment, aber dann begannen sich die Blutflecken zu bewegen. Sie wurden dunkler, wechselten von Braun zu Rot und glänzten feucht. Das flüssig gewordene Blut kroch über die Laken, sammelte sich in der Mitte des Bettes, wo es zu einer großen Lache zusammenfloss. Cale kniete sich auf das Bett und sah hinein. Für einen Moment sah er sein eigenes Gesicht in der Spiegelung, aber dann veränderte es sich. Die Züge verschoben sich, die Haare wurden kürzer, und bald darauf sah Cale sich Ezekiels Gesicht gegenüber.
»Du hast die Rune gemalt«, sagte er mit lebloser Stimme.
»Ich musste dich rufen«, antwortete Cale.
Ezekiel lächelte – er entblößte dabei spitze Zähne, zu viele für einen menschlichen Mund. Cale zwang sich, nicht wegzusehen. Es war immer unangenehm zu sehen, was in einem wohnte. Das dort hatte nichts mehr mit dem Menschen Ezekiel zu tun. Was Cale in der Spiegelung sah, war der Dämon, der in ihm gewohnt hatte. Und da er jetzt nicht mehr auf der Erde wandeln konnte, musste er sich an Regeln halten, so wie Cale auch, wenn er
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