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Die Schattenseherin: Roman (German Edition)

Die Schattenseherin: Roman (German Edition)

Titel: Die Schattenseherin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Hunter
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Gedanken. › Beeil dich!‹
    Cale rannte. Caes hatte nicht gebrüllt, nicht geschrien oder ihm höhnisch befohlen, es zu tun – die kalte Ruhe, die in der Stimme des Dämons lag, trieb Cale mehr an als alles andere. Er vergaß sogar für einen Augenblick die Schmerzen seines Entzuges und rannte die Stufen des Gebäudes hinauf. Als er die Rune im Türschloss aufmalen wollte, griff er ins Leere. Das Schloss war weg, einfach herausgebrochen worden. An der Stelle klaffte ein schwarzes Loch. Kein normaler Mensch hätte diesen eingelassenen Schutzzauber einfach so herausreißen können. Cale stieß die Haustür mit der Schulter auf und rannte in den Flur. »Lexa?«, brüllte er. »Desmond? Neil? Verdammt, irgendwer?!«
    Niemand antwortete ihm, aber Cale sah genug. Die teuren Stofftapeten waren mit Blut bedeckt. Cale wandte sich schaudernd ab und lief ins Empfangszimmer. Auch hier war Blut an den Wänden, und die teuren Möbel lagen achtlos im Raum verstreut, weggeschleudert, als wären es nur Spielzeuge. Einige von ihnen hatten diese Behandlung nicht verkraftet und waren zerbrochen oder gar zersplittert. Der Boden war mit Holzsplittern übersät. Inmitten dieses Chaos lag Lexa. Sie war grausam zugerichtet – über ihrem Auge klaffte ein Schnitt, und ihre weiße Bluse war mit Blut durchtränkt. Nur über ihrer linken Brust war nichts mehr – wie auch schon bei Ezekiel hatte jemand ihr den Brustkorb gewaltsam geöffnet und das Herz herausgerissen. Die einzige Art, wie man einen Dämon töten konnte.
    Cale kniete neben Lexa nieder und wagte kaum, sie zu berühren. Zu seiner Überraschung schlug sie die Augen auf. Sie lebte!
    Lexa wollte etwas sagen, aber es quoll nur Blut hervor, als sie die vollen Lippen öffnete. Es war ebenso rot wie ihr Lippenstift. Cale strich ihr die Haare aus der Stirn und stützte ihren Kopf, damit sie sprechen konnte. »Ruhig, Lexa«, murmelte er. »Das wird wieder. Bleib einfach ruhig.«
    Caes in seinem Innern sprach nicht, und Cale konnte nicht abschätzen, was er fühlte, aber im Augenblick hatte er genug mit seinem Entzug und der sterbenden Lexa zu kämpfen. Diese sah zu ihm auf und lächelte schwach. Sie wusste ebenso gut wie er, dass es zu spät war. Kein Dämon konnte mit herausgerissenem Herzen überleben.
    Cale schluckte hart. »Wir finden ihn«, murmelte er nah an Lexas Ohr, um sicherzugehen, dass sie ihn hörte. »Ich finde diesen verdammten Engel und lasse ihn dafür büßen.«
    Die Dämonin runzelte jetzt die Stirn. »Kein … kein … «
    Cale beugte sich tiefer zu ihr. »Was willst du?«
    »Kein Engel«, murmelte Lexa.
    Cale sah fassungslos auf die sterbende Dämonin herab. »Was?« Kein Engel? Wie sollte das möglich sein? Ezekiel hatte gesagt, dass er von einem Engel getötet worden war, und er war auf genau die gleiche Weise getötet worden wie Lexa. Cale beugte sich wieder zu ihr und wollte sie fragen, wer es getan hatte, aber in diesem Moment setzte der Todeskampf ein. Sie bäumte sich in Cales Armen auf, verdrehte die Augen und atmete lang aus, ehe sie in sich zusammensackte. Der Blick ihrer Augen lag verschleiert auf Cales Gesicht, und der fühlte sich unfähig, irgendetwas darin zu lesen, ehe ihre Augen vollkommen brachen. Lexa war tot.
    Cale spürte, wie Caes in ihm hochdrängte, und er ließ es einfach geschehen. Der Dämon fasste Lexas schmale Schultern, riss sie an sich und sah ihr in das kalkweiße Gesicht. »Lexa arana, Herrin über die Knochengruben von Erdabahr, Göttin der Nuakutz, ich beschwöre dich, öffne deine Augen und sprich zu mir!«, schrie er ihr die Beschwörungsformel entgegen, aber Lexas Augenlider bewegten sich nicht. Noch einmal brüllte Caes die Formel und noch einmal, bis Cales Stimme heiser war, aber er erreichte nichts. »Verdammt, Lexa, komm zu mir zurück!« Er schüttelte sie, aber ihr Körper blieb steif und ihre Lippen stumm. Caes ließ sie wieder auf den Boden sinken. Cale sah noch immer fassungslos auf sie herab. Bilder tanzten vor seinen Augen, Bilder von Lexa, Bilder von Caes, und das Gefühl eines grenzenlosen Verlustes bemächtigte sich seiner. Er legte den Kopf zurück, und der Dämon Caes brüllte seine Trauer hinaus.
    Mit letzter Kraft schleppte Cale sich viel später hinauf in sein Zimmer und nahm das Elixier aus der Phiole ein. Es schmeckte noch schlimmer, als er es in Erinnerung hatte, aber die Entzugserscheinungen nahmen mit jedem Atemzug ab. Cale schloss die Augen. Atemzüge, die Lexa nun nicht mehr tun konnte. Sie war tot,

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