Die Schattenseherin: Roman (German Edition)
Wechsel überrascht zu sein. Er schlug die Beine übereinander, und die Spitze seines Pantoffels stieß einen Stapel alter Zeitungen an. Sie gerieten ins Wanken, und das oberste Drittel rutschte zur Seite. Im Fall rissen die Zeitungen einige nahe stehende Tüten um, aus denen eine undefinierbare Masse quoll. Kleine Fliegen stoben auf. Der Mann schien sich nicht daran zu stören.
»Aber ... Pest, wie in Tod, Krieg, Hunger, Pestilenz Pest?«
Der Mann verzog die Mundwinkel. »Früher nannten wir uns auch noch anders, aber ja.«
»Nennt Caes dich daher Unparteiischer?«
Pestilenz hob die Augenbraue. »Dieser Name ist mir allerdings schon länger nicht mehr untergekommen. Nur einige der alten Dämonen nennen uns noch so, die Jungen halten uns für einen Mythos.«
Cale musste nun selbst lächeln. »Man beschäftigt sich nicht mehr so sehr mit der Apokalypse.«
»Das habe ich bemerkt.« Die Mundwinkel von Pest rutschten wieder tiefer, und er starrte düster auf den halb auseinandergefallenen Zeitungsstapel neben sich. »Mir wäre es auch lieber, wenn der Untergang früher auftauchen würde, aber welche Wahl habe ich dabei schon? Ich muss abwarten und kann mir die Zeit mit Aids und Krebs vertreiben, während wir alle auf das Ende der Welt warten, so ist das nun einmal.«
»Wenn das so ist, hat Caes unrecht. Wie kannst du unparteiisch sein, wenn du dem Himmel dienst?«
»Junge, der Dämon, den du in dir trägst, ist älter, wesentlich älter als du. Wenn er mich unparteiisch nennt, hat er im Zweifelsfall recht und du nur eine blasse Ahnung«, wies Pest Cale zurecht und stand auf. Er war wirklich nicht sehr groß, aber im Stehen wirkte die dürre Gestalt, die von einem fadenscheinigen Morgenmantel eingehüllt wurde, noch dünner. Staubwolken stieben aus den Falten seiner Kleider, als er sich hinstellte. »Wir vier sind die einzigen Dämonen, die in der Hölle geboren und von Anfang an für den himmlischen Dienst bestimmt wurden. Das ist es, wofür wir gemacht wurden. Pandoras Aufgabe war es, eine Schatulle zu öffnen, und seit wir von dort herausgelassen und in der Hölle zu dem gemacht wurden, was wir sind, ist es unsere Aufgabe, das Ende der Welt durch unseren ersten und einzigen gemeinsamen Ritt einzuläuten. Bis dahin sind wir auf Erden und ... üben.«
»Üben«, murmelte Cale mit trockenem Mund und schüttelte leicht den Kopf.
›Wie kann ich ihn fragen, wenn er für den Himmel arbeitet?!‹, raunte Cale Caes zu.
»Es kommt auf die Frage an«, sagte Pest, als hätte Cale die Worte laut ausgesprochen.
Cale zuckte zusammen, widersprach aber nicht. »Gut ... es geht um die beiden Morde in den letzten vierundzwanzig Stunden. Beide Male sind Dämonen getötet worden; beide stehen in Zusammenhang mit der Escort-Agentur Flesh and Skin, und beiden wurden die Herzen herausgerissen«, zählte Cale tonlos auf.
Pestilenz rieb sich über das Kinn und sah sich im Raum um. In seinem Blick lag so etwas wie liebevoller Stolz, als er den ganzen Plunder und Krempel begutachtete. Cale widerte der Raum nach nicht einmal zehn Minuten Aufenthalt schon an. »Der Zusammenhang mit der Agentur ist nutzlos, denn fast jeder Dämon hier in Edinburgh steht in irgendeiner Verbindung mit Lexas Agentur«, murmelte Pest halblaut vor sich hin. »Aber der Hinweis auf die Herzen ist interessant. Engel haben sich früher auf diese Weise von Dämonen ernährt.«
Cale wurde blass. »Ernährt? Ich dachte ... sie töten Dämonen einfach damit.«
»Ah, aber nein.« Pest lächelte und sah Cale aus blassen, stechenden Augen an. »Engel leben, genauso wie Dämonen, von den Gefühlen der Menschen. Dort konzentriert sich das Göttliche in ihnen, der Odem, der ihnen vom Ursprung gegeben wurde, damit sie leben können.« Er tippte sich gegen die eigene dürre Brust, an die Stelle, an der sein Herz sitzen mochte oder was auch immer ein apokalyptischer Reiter an dieser Stelle besaß.
»Dein kleiner Dämon lebt von der Lust, neben der Angst einem der reinsten und intensivsten Gefühle, die ein Mensch empfinden kann. Engel können das ebenso, aber einigen von ihnen war es zu mühselig, die Empfindungen aus den menschlichen Herzen herauszukitzeln, und als sie bemerkten, dass Dämonenherzen fast ebenso nahrhaft waren, wenn man sie nur roh verspeiste ... nun ja.«
Als er sah, wie Cale das Gesicht verzog, wurde Pest wieder ernster. »Das ist natürlich nichts, was man euch Jungen heute noch erzählt, wie es aussieht. Hauptsache, ihr tut eure Pflicht und dient
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