Die Schattenseherin: Roman (German Edition)
einfach als Gefäße.«
»Das tut jetzt nichts zur Sache«, erwiderte Cale und atmete tief ein. »Wichtig ist jetzt, herauszufinden, wer Ezekiel und Lexa umgebracht hat. Ezekiels Dämon sagte, es wäre ein Engel gewesen, Lexa sagte mir vor ihrem Tod noch, dass es kein Engel war.«
»Lexa ist eines der beiden Opfer. Wie überaus bedauerlich«, seufzte Pest. »Aber das verkompliziert natürlich alles. Was genau willst du jetzt von mir wissen, Junge?«
»Ob du etwas von Engeln in dieser Stadt weißt. Und wenn ja, wie ich sie aufspüren kann.«
»So etwas ist niemals einfach, Junge. Ich brauche dazu mindestens einen Tag Zeit und natürlich eine angemessene Entlohnung.«
»Was willst du haben?«
Die farblosen Augen des Mannes leuchteten mit einem Mal gelblich auf. »Einen Gefallen.«
»Was für einen?«
»Das werde ich dich beizeiten wissen lassen. Sind wir im Geschäft?«
Cale knirschte mit den Zähnen. Es war leichtsinnig, jemandem ohne weiteres Wissen einen Blankogefallen zu erweisen, aber Cale kannte sich nicht mit Engeln aus und er wusste nicht, wo er mit der Suche nach dem Mörder oder den Mördern beginnen sollte. Langsam nickte er.
Pest grinste breit, und Cale sah nur braune und geschwärzte Stummel statt Zähne. »Gut. Dann komm morgen zurück, und ich werde dir weiterhelfen können. Und jetzt mach, dass du hier rauskommst.«
Vor der Tür atmete Cale tief ein. Er hatte das Gefühl, einem Grab entkommen zu sein, und stand für einen Moment einfach regungslos auf dem Gehsteig, um das Gefühl von sauberer Luft in seine Lungen aufsteigen zu lassen. Mittlerweile war es dunkel geworden, und als Cale auf seine Armbanduhr sah, wurde ihm ob der Uhrzeit heiß und kalt. Es war bereits kurz nach eins. Das Elixier hatte er gegen Nachmittag eingenommen, und die Zeit schien ihm regelrecht zwischen den Fingern zu verrinnen. Caes verhielt sich noch immer sehr ruhig, und Cale ließ ihn. Er wollte noch einmal zurück zur Agentur, um zu sehen, ob die Polizei mittlerweile am Tatort gewesen war. Als er dort ankam, sah das Haus aber noch immer leer aus. Keine heulenden Sirenen, keine Absperrbänder, nicht einmal Licht. Alles war dunkel.
Cale ging langsam näher, stockte aber, als er eine schmale Gestalt erkannte, die sich vor dem Haus herumdrückte. Sie hatte die Hände um eine Kamera gelegt und fotografierte die Front des Hauses. Das Licht der Straßenlaternen schien ihr auszureichen, denn Cale sah kein Blitzlicht durch die Nacht zucken.
Die Person schien fertig mit ihren Aufnahmen zu sein, denn sie steckte die Kamera in die Tasche an ihrer Seite und fuhr sich durch die halblangen Haare. Cale kniff die Augen zusammen. Diese langen Ponysträhnen hatte er heute schon einmal gesehen. Er schloss die Augen, bis es ihm wieder einfiel – auf der Polizeiwache! Die Frau vor dem Haus war heute schon auf der Wache gewesen. Wieso stand sie jetzt vor der Agentur und fotografierte dessen Front? Das war kein Zufall. Cale war sich nicht sicher, ob sie für die Polizei arbeitete oder nicht, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass sie etwas mit den Morden zu tun hatte. Sie hatte auf der Wache keine Uniform getragen und hier trug sie auch legere Freizeitkleidung. Wenn sie also nicht zur Polizei gehörte, woher kam dann das offensichtliche Interesse an dem letzten Mordschauplatz?
Als sie sich abwandte, um zu gehen, folgte ihr Cale wie ein dunkler Schatten durch die Straßen Edinburghs.
Sechstes Kapitel
Erinnerungen
»Danke, dass du mir das nicht übel nimmst.« Zoe lächelte schwach, während Adrian von seinem Sandwich abbiss, kaute und dann schluckte. »Schon okay. Der Überfall von diesem Junkie hätte jeden erschreckt. Außerdem gehen wir ja jetzt doch essen, oder nicht?«
Zoe nickte und schob eine Pommes auf ihrem Teller in die braune Sauce aus Zwiebeln und Äpfeln. Die Musik aus der Jukebox übertönte fast das Stimmengemurmel im Pub. Für einen Wochentag war es erstaunlich voll, aber Zoe kannte den Pub. Das Duke’s Shield war ein beliebter Treff von Polizisten, egal aus welcher Schicht, und um diese Zeit hatten die Mitglieder der Nachtschicht ihre Zeit, in der sie ausspannen und Bier in sich reinschütten konnten. Zoe mochte das Bier, aber das Essen dort liebte sie geradezu. Adrian beschwerte sich auch niemals, wenn sie ihn bat, sie ins Shield zu begleiten.
Zoe aß die saucengetränkte Pommes und spülte den süß-sauren Geschmack mit dunklem Bier hinunter. Der Engel hatte sie gehen lassen, auch wenn er anfangs nicht
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