Die Schattenseherin: Roman (German Edition)
sich, aber es war wie immer schon – nichts konnte sie vorbereiten. Sie wurde diesmal regelrecht aus ihrem Körper katapultiert und hörte eine Stimme » Lexa arana « sagen. Der Name war wichtig, aber sie hätte ihn fast vergessen, als der Schmerz einsetzte. Keuchend versuchte sie, sich daran zu erinnern, dass es nicht real war, aber es half nicht viel. Mühsam rang sie nach Atem, schmeckte aber nur Blut. Der Boden unter ihr war hart und der Raum verwüstet. Zoe wollte wissen, was diese Lexa arana gedacht hatte, aber es war ihr unmöglich. Die Gedanken und Gefühle der Sterbenden blieben ihr verborgen. Sie war dazu verdammt, ein stummer Beobachter zu sein.
Ihr Kopf wurde von etwas oder jemandem gehalten. Ein Gesicht beugte sich über sie – es war attraktiv, das Gesicht eines Mannes, noch halb hinter dunklen Haarsträhnen verborgen. Ebenso dunkle Bartstoppeln waren auf seinem Kinn zu sehen, aber um den Mund lag ein trauriger Zug. Er kam noch näher, und sein Gesicht war deutlich zu sehen. Zoe schrie auf und wand sich, als sie plötzlich den Sog spürte. Die zehn Sekunden waren um, und sie wurde aus dem Körper der sterbenden Frau, dieses toten Engels, herausgerissen. Die Realität kam diesmal nur langsam zurück. Die Augen weit aufgerissen, starrte Zoe den Raum an, den sie noch Sekunden zuvor als eine ganz andere Frau wahrgenommen hatte. Dumas kam zu ihr und half ihr, sich aufzurichten. Weil Zoe so sehr zitterte, zog er sie an sich und hielt sie fest. Zoe hielt die Augen zusammengepresst und drückte ihr Gesicht gegen seinen Anzug. Er roch nach nichts, und es war auch kein Herzschlag zu spüren. Dennoch gestattete Zoe es sich, für einen Moment in seiner Umarmung zu verharren, um sich wieder zu fangen. Als ihr eigenes Herz nicht mehr raste, schob sie Dumas zurück und sah ihn an. Er wirkte begierig zu erfahren, was geschehen war. »Was haben Sie gesehen?«, fragte er hastig.
Zoe schluckte und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Oberlippe. »Ich habe den Mörder gesehen«, sagte sie schwach. »Und ich weiß, wer es ist.«
Fünftes Kapitel
In der Hölle geboren, um im Himmel zu dienen
Mittlerweile war es dunkel geworden. Cale sah zum Royal Hill hinauf, auf dem das Edinburgh Castle thronte und sich im Schein der Scheinwerfer präsentierte. Die meisten Touristen waren verschwunden, nur einige Einheimische und die letzten Unermüdlichen wanderten in die Restaurants auf der Royal Mile. Cale spürte seinen eigenen Magen, der sich schmerzhaft knurrend meldete. › Und wo ist nun dein Unparteiischer? ‹ , fragte er stumm, während er so tat, als wäre er nur einer von vielen, die den Anblick des erleuchteten Schlosses genossen.
›Geh weiter – da vorne, an der Gasse, geh nach links.‹
Cale tat, wie ihm geheißen. Caes lotste ihn auf diese Weise immer weiter in den alten Stadtkern Edinburghs, ließ ihn durch die Hinterhöfe der Sandsteinhäuser wandern, bis er vollkommen die Orientierung verloren hatte.
›Wird das eine längere Tour? Du weißt, uns läuft die Zeit davon‹, mahnte Cale. Es war seltsam, dass ausgerechnet er Caes daran erinnern musste, dass sie bald wieder eine Frau aufsuchen mussten. Sonst war es immer der Dämon gewesen, der Cale unnötig früh drängte, jemanden zu verführen. Aber Lexas Tod schien den Dämon an nichts anderes denken zu lassen. Die Verbindung zwischen beiden musste tiefer gewesen sein, als Caes bisher verraten hatte.
› Dort vorne, einfach durch die Tür‹ , unterbrach ihn Caes, und Cale sah sich um. Er stand in einer der älteren Straßen, direkt zwischen zwei Häusern. Dazwischen hatte jemand eine grobe Mauer hochgezogen. Derjenige hatte entweder keine Ahnung, wie man es richtig machte, oder er hatte es sehr eilig gehabt. Der Spalt zwischen den Häusern war nur etwa drei Meter hoch zugemauert worden, und Zement war an vielen Stellen hervorgequollen, ohne abgestrichen worden zu sein. Die Häuser auf beiden Seiten waren locker doppelt so hoch, aber dennoch gab es keine Möglichkeit, über die Mauer hinwegzusehen, außer man besorgte sich eine Leiter.
In diese provisorische Mauer war eine Tür eingelassen worden, sie sah ebenso roh und verwittert aus wie die Wand. Die Tür war aus billigem Holz und rot angemalt. Jemand hatte sich einen Spaß erlaubt und einen Türklopfer und einen Spion mit goldener Farbe aufgemalt, obwohl weder das eine noch das andere wirklich vorhanden war.
Cale blieb vor der Tür stehen. Sie wirkte im Licht der gelben Straßenlaternen
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