Die Schattenseherin: Roman (German Edition)
waberten Schemen. Pfoten, Klauen, ein Skorpionschwanz, eine Schlange – die Formen wechselten so rasch, blitzten immer nur kurz auf, sodass Caes sie kaum unterscheiden konnte.
»Seelenfresser«, brummte Caes und hielt Zoe fest. Er spürte Cale, der protestieren wollte, aber Caes behielt die Macht über Cales Körper.
»Inkubus«, erwiderte der Mantichor, und er duckte sich noch etwas tiefer, als würde er sich vor Caes fürchten. Oder als setzte er zum Sprung an.
»Was bringt euch freiwillig zu mir?«, fuhr der Mantichor fort. Eine lange Zunge schoss aus seinem Mund und leckte über seine Lippen. Dabei kamen gezackte Zähne zum Vorschein, ebenso gelb wie die Augen des Ungeheuers.
»Ein Gefallen«, erwiderte Caes.
»Und was ist mein Preis?«
Caes sah auf die Frau in seinen Armen und dann wieder auf. Das rote Haar hatte für einen Moment eine andere Farbe angenommen. Lang, blond und seidig hatte es seinen Arm berührt. Der Inkubus sah auf. »Ich«, sagte er.
Siebzehntes Kapitel
Opfer
»Ich weiß nicht, was du von mir willst«, stieß Zoe hervor und rang nach Luft. Uriel sah auf sie herab, in seinem Gesicht nicht die kleinste Regung. Es war, als wären Zoes Qualen für ihn nichts weiter als ein notwendiges Übel, das sie so lange auszuhalten hatte, bis er bekam, was er wollte.
»Lügen werden deine Leiden nur verlängern. Erspare dir das, Zoe. Ich will dich nicht weiter hier lassen und dich leiden sehen. Sag mir, wo sie ist.«
Sie kniff die Augen zusammen und wappnete sich gegen die nächste Welle der Qualen. Doch die kamen nicht. Sie schlug die Augen wieder auf und sah Uriel an, der auf etwas zu lauschen schien.
»Bist du es?«, flüsterte er.
Zoe versuchte, sich zu konzentrieren, und plötzlich konnte sie es auch hören. Eine weibliche Stimme, sanft und mit einer solchen Traurigkeit darin, dass es Zoe fast ihre Lage vergessen ließ.
»Sie sind hier«, sagte die Stimme. »Komm zu mir.«
Uriel ballte die Hände zu Fäusten. »Ich kann dich nicht finden«, presste er hervor.
»Du wirst mich finden, mein Freund. Du hast mich immer gefunden. Komm zu mir.«
Der Engel wirkte, als wolle er schreien, aber kein Laut kam aus seiner Kehle. Sein Blick lag auf Zoe. »Ist das ein Trick?«, fragte er sie ruhig.
»Wie soll ich hier irgendeinen Trick abziehen?!«, schrie Zoe. »Ich weiß nicht einmal, was du von mir willst.«
Uriel nickte leise und entspannte seine Hände. Dann verschwand er.
›Das kannst du nicht machen‹, herrschte Cale Caes an, doch der Entschluss des Inkubus stand fest.
› Der Mantichor wird uns nicht gehen lassen, egal ob wir ihm etwas anbieten oder nicht. Aber du hast wenigstens eine Chance, mit deiner Geliebten zu entkommen, solange er mit mir beschäftigt ist.‹
›Was soll dieser plötzliche Heldenmut?!‹, knurrte Cale. Er kämpfte darum, die Kontrolle über seinen Körper zurückzubekommen, aber diesmal ließ Caes ihn nicht. Etwas hier unten gab ihm Kraft. Mehr Kraft, als er jemals außerhalb der Hölle gehabt hatte.
› Du bekommst, was du immer haben wolltest«, erwiderte Caes. ›Du wirst mich endlich endgültig los. Ich hätte ein bisschen mehr Dankbarkeit erwartet, Fleischsack.‹
Der Mantichor unterbrach das Gespräch, indem er näher kam und den Mund öffnete. Die lange Zunge entrollte sich und hing ihm obszön aus dem Mund. Ein Finger mit einer krummen Klaue daran streckte sich aus und deutete auf Zoes reglosen Körper.
»Ein Inkubus gegen das da?«
»Eine Engelsfeder«, erklärte Caes. »Wir können sie nicht entfernen. Wenn du es kannst, bekommst du mich.«
Der Mantichor beugte sich vor und schnupperte – ein Geräusch, wie von einem ausgehungerten Hund. »Alt, uralt und köstlich. Ja«, brummte der Seelenfresser. »Ja, ich werde euren Menschen heilen. Und dann werde ich deine Seele verspeisen, kleiner Dämon.«
Caes drückte Zoe fester an sich, bis ihre Wunde offen zugänglich war. Der Mantichor zog den Verband herunter und gab ein wohliges Stöhnen von sich. »Oh ja«, stöhnte er wollüstig. »Ein Engelsfluch. Er steckt tief in dem dummen Fleisch. Sehr tief.«
Mit einem Mal ruckte der Kopf des Ungeheuers vor, und sein Hals wurde lang und länger, bis er den Mund auf Zoes Wunde pressen konnte. Die wulstigen Lippen saugten deutlich sichtbar.
Caes beobachtete die Prozedur angespannt, und auch Cale wartete angespannt, bereit, jeden Moment einzugreifen, sobald er auch nur den leisesten Verdacht hatte, dass der Mantichor Zoe etwas antat. Und nur deshalb sahen weder
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