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Die Schattenseherin: Roman (German Edition)

Die Schattenseherin: Roman (German Edition)

Titel: Die Schattenseherin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Hunter
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den Kopf hoch und verfluchte seine eigene Dummheit. Zoe hatte noch geatmet, auch wenn sie auf den ersten Blick aussah, als wäre sie tot. Er hatte es in seinem Schock nur nicht bemerkt. Wer atmete, konnte nicht tot sein.
    › Die Feder ‹, sagte Caes plötzlich. › Die verdammte Engelsfeder!‹
    So behutsam wie nur möglich drehte Cale Zoe leicht und schob den provisorischen Verband hinunter. Dort, wo er die Feder herausgezogen hatte, war das Gewebe ihrer Haut rot und von schwarzen Adern durchzogen. Wie er bereits geahnt hatte, war es ihm nicht gelungen, die Feder ganz zu entfernen, die weiterhin ihr tödliches Gift in Zoes Körper pumpte. Cale glaubte sogar, ein leises Pulsieren wahrzunehmen. Er streckte die Finger aus, zog sie jedoch wieder zurück. Falls er etwas falsch machte, würde sein schlimmster Albtraum doch noch wahr werden, und er würde Zoe verlieren.
    ›Was, verdammt noch mal, ist das?‹, fragte er.
    › Ich weiß es nicht‹, erwiderte Caes nachdenklich. › Es gibt jemanden, der sich mit Engeln und Dämonen auskennt.‹
    Cale schwieg dumpf. Er wusste, auf wen der Inkubus anspielte, und die Möglichkeit war alles andere als einladend. ›Du meinst die Vaults in der South Bridge?‹
    › Der Mantichor‹, bestätigte der Inkubus mit düsterer Stimme.
    Cale hielt Zoe noch immer im Arm. Caes wusste ebenso gut wie er selbst, was es hieß, wenn sie in die Katakomben hinabstiegen. Und unter anderen Umständen wäre der Dämon niemals freiwillig bereit, ein solches Risiko einzugehen, nur um eine menschliche Frau zu retten. Offenbar meinte Caes es ernst – er wollte seine Sünden an Cale wiedergutmachen.
    Ohne ein weiteres Wort stand Cale auf, zog sich an und wickelte Zoes leblosen Körper in ein Laken.
    Die South Bridge Vaults von Edinburgh galten als der Ort Großbritanniens, wo es am häufigsten und meisten spukte. Ob das stimmte oder nicht, war eine Frage, die jedes Jahr Hunderte von Touristen zu ergründen versuchten, die sich in geführten Touren durch die Gewölbe führen ließen.
    Früher, lange vor den groß organisierten Führungstouren, den sicher erschlossenen Wegen und den Touristen, war es wesentlich gefährlicher gewesen, die Katakomben zu betreten.
    Sie waren ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der die Anzahl der Bewohner in Edinburgh die Wohnfläche weit überstieg. Man musste zum Wohnen, Schlafen und auch Feiern andere Orte finden als die üblichen Kneipen und Wohnhäuser auf Edinburghs Straßen. So hatte man sich in die Katakomben im Innern der südlichen Stadtbrücke zurückgezogen, und dort, im tiefen Bauch der Stadt, konnte man Arbeit als Kohleschaufler oder als Wächter finden und sich anschließend in einer der höhlenartigen Kaschemmen niederlassen.
    Das Katakombensystem war jedoch sehr verwinkelt und nicht kartografisch erschlossen, sodass hier auch Mörder und Diebe Zuflucht suchten, wie beispielsweise die berüchtigten Bodysnatcher – Männer, die Leichen aus den Gräbern holten und hier versteckten oder sorglose Fußgänger zu Leichen machten, um sie später an die pathologischen Institute der Universitäten Edinburghs zu verkaufen.
    Die Vaults waren auch noch ein bekannter Treffpunkt der Stadt, als Cale kurz nach seiner Umwandlung nach Edinburgh kam, aber ihre Blütezeit hatten sie längst überschritten. Edinburgh hatte sich weit über seine Stadtgrenzen ausgedehnt, wie ein wuchernder Pilz.
    Dennoch gab es in vielen Kellern oder hinter abgetrennten Wänden der Häuser der Innenstadt noch einen geheimen Zugang zu den Vaults, der einen tief in das Labyrinth aus Gängen und Katakomben führte. Kannte man sich auf diesen unerschlossenen Wegen nicht aus, konnte man sich leicht für immer verirren oder sich auf den unebenen Gängen den Hals brechen. Mehr als ein Bürger der Stadt war dort unten verschwunden und hatte die Geschichten um die verhexten und verfluchten Vaults weiter genährt.
    Cale kannte viele Wege in die Vaults. Er war früher hier gewesen – als Gast einer Schenke oder als Jäger von Frauen für seine nächste Nacht. Dennoch hielt er sich meist von den Katakomben fern, und Caes protestierte niemals.
    Heutzutage war dort unten auch nichts weiter zu finden als die Reste einer Zeit, die nicht einmal zu ihren Lebzeiten glanzvoll gewesen war.
    Und die letzten Schatten einer Welt, die weder Himmel noch Hölle kannte.
    Cale schob die brüchige Kellertüre vor sich mit der Schulter beiseite und verzog das Gesicht, als ihm muffige, staubgetränkte Luft entgegenschlug.

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