Die Schattensurfer (German Edition)
Unterlippe eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Seine Augen blinzelten nervös. Er verschränkte die Arme vor der Brust, damit er sie ruhig halten konnte. Natürlich hatte er nicht die geringste Ahnung, wie er den Zentralcomputer knacken könnte.
Sansibar blickte an Luan vorbei, als wäre dort an der Wand neben ihm etwas viel Mächtigeres, das ihre Gedanken in den Bann zog. Wortlos ließ sie die Sekunden verstreichen. Sansibar sprach noch immer nicht. Ihr Gehirn schien zu rattern. Schließlich schüttelte sie den Kopf, als wollte sie diese Gedanken loswerden. Sie sah Luan verwundert an und fragte: „In der Schattenstadt gibt es kein RUHL? Wie kann man dort leben. Es muss das totale Chaos herrschen.“
Luan lächelte. Natürlich ging es in der Schattenstadt ein wenig chaotisch zu: „Dort läuft es nicht so geregelt wie in Mallinport. Aber irgendwie funktioniert es trotzdem.“
„Wirklich?“, fragte sie mit großen Augen. Doch schon im nächsten Augenblick verdrängte sie ihre Neugier mit zusammengezogenen Augenbrauen. Sie kniff sich in ihr Ohrläppchen.
„Und alle behalten ihre Gedanken für sich?“, bohrte sie nach.
„Nicht ganz. Natürlich teilen wir viele Gedanken, aber nicht alle. Über manches reden wir, andere Dinge behalten wir für uns. Wir nennen es GEHEIMNISSE.“
„Ihr lebt in der Schattenstadt vom Zufall. So kann sich die Gesellschaft nicht weiterentwickeln“, erklärte Sansibar und wippte wieder auf den Zehenspitzen. „Ich bin froh, dass ich nächsten Montag meine Kristallprüfung ablegen darf. Ich kann es kaum erwarten, mit meinen Gedanken anderen Menschen zu helfen. Gemeinsam sind wir stark.“
„Wenn du möchtest, kann ich dir die Schattenstadt zeigen. Komm doch einfach mit. Sieh sie dir an. Dann kannst du selbst urteilen“, schlug Luan vor. Er wusste auch nicht, warum er das tat. Irgendwie mochte er das Mädchen mit den lila Haaren.
Sansibar schüttelte den Kopf. „Nein, ich muss mich auf meine Kristallprüfung konzentrieren.“
„Du kannst es dir ja noch einmal überlegen“, sagte Luan beiläufig. Aber tief in seinem Inneren wünschte er, sie würde mit ihm gehen. Luan fühlte nach seinem Fuß. Er konnte ihn wieder in alle Richtungen bewegen.
In diesem Moment hörte er eine atemlose Mädchenstimme aus dem Inneren der Lagerhalle rufen: „Sansibar, wo bist du?“
„Hier bin ich, Marella.“
Luan zuckte zusammen. Hatte sich Sansibar deswegen so lange mit ihm unterhalten? Wollte sie ihn nur ablenken?
Er hörte die trampelnden Schritte von Marella. Nein, die Schritte waren viel zu schwer. Sie kamen nicht von dem Mädchen. Es waren zu viele Schritte. Mehrere Personen jagten durch die Lagerhalle. Bestimmt zwei oder drei. „Halte durch. Wir sind gleich bei dir“, schrie Marella durch die Dunkelheit.
Luan drückte sich hoch. Da war er wieder. Der Schmerz schoss durch seinen rechten Knöchel. Humpelnd hastete er an dem Sauerkrautfass vorbei. Wie sollte er nur entkommen?
„Hierher. Hier bin ich“, rief Sansibar ihre Freundin.
Die Schritte wurden immer lauter. Luan griff nach dem Torknauf.
In dem Moment, als Marella hinaus auf die Ladeplattform trat, zog sich Luan mit einem Ruck um das Tor herum, machte sich ganz dünn und verschwand dahinter. Gesicht und Hände strichen über das rostraue Tor. Nur dünnes Blech trennte ihn von Marella und Sansibar. Er hatte Angst, dass sein Herz zu laut schlug. Er atmete ganz flach, aber seine Lungen dröhnten wie ein Kompressor. Sansibar war also doch eine Verräterin.
„Wo ist er“, schnaufte Marella völlig außer Atem.
Erwachsene Schritte traten auf die Plattform. Luan konnte hinter dem Tor nichts sehen. Aber als er die Stimmen hörte, wusste er sofort, wen Marella im Schlepptau mitbrachte. „Junges Fräulein, wo ist er? Du hast ihn doch verfolgt“, fragte ein Sipo.
Sansibar schwieg für einen Augenblick.
„Der Flüchtige ist ein Verbrecher der Kategorie B“, herrschte ein Sipo sie an.
Luan zuckte zusammen. Kategorie B, das hieß Staatsfeind. Im Notfall durften sie sogar schießen.
„Sag schon!“, drängte Marella. „Wenn du weißt, wo er ist, kannst du sofort nach der Kristallprüfung mit einem gelben Kristall starten. Das wäre der absolute Wahnsinn. In der ganzen Geschichte unserer Schule ist das nur Peter Moretti 2039 gelungen.“
Luan hielt die Luft an. Er war geliefert. Wenn sie ihn erst einmal hatten, würde er aus der Mühle nicht mehr herauskommen. Sie würden ihn durchdrehen, bis er alles zugab. Und nach zehn
Weitere Kostenlose Bücher