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Die Schattensurfer (German Edition)

Die Schattensurfer (German Edition)

Titel: Die Schattensurfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Wiest
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jetzt kommen. Der Junge ging vielleicht in die vierte Klasse. Er trug ein Lunapark T-Shirt mit einem Weltraumschwein vorne drauf. Luan musste sich beeilen, um vor dem Jungen den Kontrollring zu passieren.
    Luan hielt die Luft an, als er mit Nacho durch den Ring trat. Keine Alarmsirene schrillte. Niemand beachtete ihn. Und schon hatten sie es geschafft. Gerade schwebte ein Zug auf dem Bahnsteig ein. Die rundum gläserne Röhre war mit Menschen vollgestopft. „Endstation, bitte alle aussteigen“, flötete eine Frauenstimme von Harfenklängen begleitet.
    Die halbrund gebogenen Glastüren fuhren lautlos auf und die Fahrgäste drängten nach draußen. Sie überschwemmten den Bahnsteig.
    Luan musste das Ende der Plattform erreichen. Nur der letzte Wagen war sicher, Platz 83. Seit die neuen großen Feuerlöscher dort installiert waren, konnten die Überwachungskameras diesen Platz nicht mehr aufzeichnen. Luan schob sich zwischen den Menschen hindurch. „Rotzlöffel, kannst du nicht aufpassen“, schimpfte ein Mann. „Rüpel“, schrillte eine Frauenstimme. Luan war das peinlich. Er drängelte nicht gerne und doch musste er jede Lücke nutzen. Seinen Rucksack hatte er vom Rücken genommen und hielt ihn vors Gesicht. Endlich hatte Luan die gläserne Zugtür erreicht und zerrte Nacho neben sich in den Wagen. Er hastete auf die andere Seite. Keuchend ließ sich Luan auf Platz 83 fallen. Er presste den Rucksack wie einen Schild vor seinen Bauch. Nacho setzte sich hechelnd neben ihm auf den Boden. Immer mehr Menschen schoben in die Transportröhre. Längst waren alle Sitzplätze vergeben. Viele mussten stehen. Die meisten Fahrgäste waren in ihren Kommunikator vertieft und trugen Ohrhörer.
    Plötzlich stand ein älterer Mann vor Luan. Er trug eine abgewetzte Leinenhose und ein kariertes Hemd. Der Mann hatte sich auf seinen Gehstock gestützt. Er stand ganz schief und sein linker Arm zitterte. „Darf ich mich bitte auf deinen Platz setzen. Ich bin nicht mehr so gut zu Fuß.“ Der Mann schnaufte atemlos.
    Luan zuckte zusammen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Aber er würde ganz bestimmt nicht aufstehen, in die Kamera lächeln und sagen: „Hallo, hier bin ich. Nehmt mich fest!“
    Luan zog die Schultern hoch und tat so, als hätte er nichts gehört. Er drehte sich zur Seite und sah aus dem Fenster.
    Der Mann stupste Luan mit seinem Stock.
    „Entschuldigung“, versuchte es der Mann noch einmal. Seine Stimme klang müde. Ein paar Fahrgäste, die nicht in ihren Kommunikator versunken waren, drehten sich um.
    Luan seufzte: „Ja, bitte?“, fragte er.
    Die Glasröhre setzte sich in Bewegung. Sanft glitt sie durch den Tunnel. Sie ruckelte kein bisschen. Niemand schwankte.
    „Dürfte ich mich bitte auf deinen Platz setzen?“, fragte der Mann. Dann zeigte er mit seinem Stock auf ein kleines Schild, das über Platz 83 angebracht war. „Für unsere älteren Mitbürger“, stand darauf zu lesen.
    Luan schluckte. Seit wann war Platz 83 reserviert. Das musste ganz neu sein.
    „Sie sehen noch gar nicht alt aus“, sagte Luan und versuchte ein unschuldiges Gesicht aufzusetzen. Der Mann sah Luan ganz traurig an. „Bitte! Meine Hüfte tut weh. Ich kann nicht mehr so gut stehen.“
    Luan seufzte. „In Ordnung“, murmelte er schließlich. „Setzen Sie sich.“ Luan hob seinen Rucksack vors Gesicht und stand auf. Hoffentlich fingen ihn die Kameras nicht ein. Er durfte auf keinen Fall nach rechts sehen.
    Der alte Mann lächelte und ließ sich auf den Platz fallen. „Danke, dass du mir geholfen hast. Eines Tages wird es dir vielleicht genauso ergehen und du freust dich über jede Hilfe.“ Der Mann hielt den Gehstock zwischen die Knie geklemmt. Zitternd lagen seine Hände auf dem Knauf.
    „Mmhmmh“, murmelte Luan. Er hatte jetzt wirklich andere Probleme als so ein Pfadfindergespräch. Mit dem Rucksack voraus drängelte sich Luan durch die Menge. Er beschloss an der nächsten Station auszusteigen. Er würde mit einer anderen Bahn weiterfahren. Dort gab es wieder einen Platz mit der Nummer 83. Da rammte Luan einen Fahrgast, irgend so einen Anzugsheini mit lachsfarbener Krawatte und passendem Einstecktuch. Seine schwarzen Schuhe glänzten wie lackiert und sein Kristall leuchtete in tiefem Dunkelgrün.
    Die Transportröhre bremste ab und schwebte in die nächste Station ein.
    „Tschuldigung“, murmelte Luan und spähte nach der Tür.
    Doch der Anzugsheini packte Luan am Kragen und schüttelte ihn. Nacho knurrte den Mann an.
    Die

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