Die Schattensurfer (German Edition)
Angewidert legte sie das Sandwich zur Seite. Ihr Magen spielte sowieso verrückt.
„Früher haben die Menschen ihre Nachrichten in Internet-Cafés abgerufen. Es gab kaum Videobotschaften. Du kannst die Computer hier im Aufenthaltsraum nutzen und deine Nachrichten als E-Mails empfangen. Wenn du Fragen hast, helfen dir meine Mitarbeiter gerne.“ Professor Brenius lächelte, dann verdunkelte sich der Bildschirm von Sansibars Kommunikator.
„Na prima“, ärgerte sich Sansibar. „Von mir aus hätten sie sich den ganzen Mittelalterkram sparen können.“
Sansibar ging zu den Computern hinüber. „Ich will meine Nachrichten sehen. Bitte abrufen!“, befahl sie unwirsch. Doch keine der grauen Kisten tat einen Mucks. Die Bildschirme blieben schwarz.
Wütend wollte Sansibar gegen die Computer treten, da sah sie einen Knopf aus dem Gehäuse ragen. „Ein“, stand dort. Sansibar drückte darauf. Die Kiste begann zu rattern und zu rumpeln. Es dauerte eine halbe Ewigkeit. Über den Monitor flackerten komische Bilder und Zeichen. Und dann sah sie zwei Felder. Ihren Namen und ihr Passwort sollte sie eingeben. Nicht einmal ihren Fingerabdruck konnte sie einscannen lassen. Wie funktionierte das noch mal? Sicher, ihr Geschichtslehrer hatte so ein Teil einmal in den Unterricht mitgebracht, aber so genau erinnerte sie sich nicht mehr daran. Es dauerte ziemlich lange, bis sie damit zurechtkam. Endlich hatte sie es geschafft sich anzumelden. All ihre Nachrichten erschienen als E-Mails. 587 Nachrichten aus wahrscheinlich Tausenden von Buchstaben zusammengesetzt. Keine Videos und der Computer las ihr keine einzige Nachricht vor. Das war entsetzlich umständlich. Sansibar fing mit der letzten Nachricht ihres Vaters an. „Hallo, Schatz“, schrieb er, „ich bin ja so froh, dass du dich entschlossen hast, ins Krankenhaus zu gehen. Natürlich spricht man nicht gerne über Disinformie, aber das ist doch keine Schande. Ganz bald bist du wieder gesund und dann besuchen wir zusammen den Lunapark. Vielleicht schon am Wochenende.“
Ärgerlich hackte Sansibar auf die beigen Plastiktasten: „Papa, warum hast du nie erzählt, dass du unter Disinformie gelitten hast?“
„Unzulässiger Inhalt“, meldete sich die Sicherheitszentrale des Krankenhauses. „Zu Ihrem eigenen Schutz und einer schnelleren Heilung wurde diese E-Mail nicht versendet. Wenn Sie das Krankenhaus verlassen, können Sie diese Nachricht zusammen mit Ihren anderen privaten Dingen mitnehmen.“
Wütend trat Sansibar gegen den Computer. Sie fühlte sich so ausgeliefert.
„Halt, nicht doch, du machst ihn kaputt“, rief eine tiefe Männerstimme hinter ihr. Sansibar erschrak. Sie hatte niemanden kommen hören. Mit einem Ruck drehte sich Sansibar um. Sie blickte direkt in die Augen einer Ratte. Die Ratte hielt ein Senftütchen zwischen den Vorderpfoten. Sie hockte auf der Schulter eines Mannes. Der Mann trug einen lila Samtanzug und darunter ein orangefarbenes Hemd. Seine wenigen Haare waren angegraut. Er trug sie schulterlang zu einem Zopf gebunden.
„Wer sind Sie?“, fragte Sansibar erschrocken.
Der Mann in dem lilafarbenen Samtanzug lächelte Sansibar an. „Kalawesi“, brummte er.
28 PLATZ NUMMER 83
Im Hof der Schattensurfer bremste Luan mit so scharfem Schwung ab, dass Nacho vom Skateboard rutschte. Er überschlug sich und schoss wie ein riesiger Fellball durch den Hof. Nacho jaulte auf, als er neben dem Aufzug gegen die Wand schlug.
„Tschuldigung“, murmelte Luan und sprang vom Skateboard. Dabei ließ er das Skateboard hochwirbeln und fing es mit der Hand. „Komm schon! Wir müssen uns beeilen“, drängelte er Nacho. Mit blitzschnellen Fingern tippte er den Aufzugscode ein.
Die Eingangshalle war genauso leer wie damals, als Luan vor einigen Wochen das erste Mal zu den Schattensurfern kam.
„Nele“, rief Luan und dann „Chris, Nick, Emil.“
Niemand meldete sich.
„Wo seid ihr?“
Luan spurtete durch die Eingangshalle. Das Quartier der Schattensurfer schien wie ausgestorben. Er riss den Lichtvorhang zur Seite und rannte in den Gemeinschaftsraum. Dort war niemand. Er sah in den Zimmern nach. Alle waren verlassen. Kein Schattensurfer war zu Hause. Niemand hatte eine Nachricht zurückgelassen.
So ein bescheuerter Mist. Aber Luan hatte keine Zeit zu warten. 23 Stunden 28 Minuten zeigte sein ceeBand an. Die Zeit schmolz dahin.
„Dann eben nicht“, murmelte Luan und schnauzte Nacho an: „Beeilung, wir müssen weiter.“ Nacho schien das komische
Weitere Kostenlose Bücher