Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schattenwelt

Titel: Die Schattenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
Vom Netzwerk:
was er in die Finger bekam, auf den Schreibtisch: einen Stuhl, einen schweren Papierkorb, einfach alles,was zur Errichtung eines Hindernisses geeignet schien. Der Eindringling hämmerte gegen die Tür, die unter der Wucht der Schläge erzitterte. Jonathan rannte zum Fenster, blickte hinunter zum Boden und überlegte fieberhaft, ob er einen Sprung in den Garten überleben würde. Doch dann verstummte das Hämmern und Kratzen schlagartig. Jonathan hielt den Atem an und lauschte in die Stille.
    »Alles in Ordnung, Jonathan. Ich bin’s!«
    Es war Miss Elwood. Jonathan war noch nie so erleichtert gewesen, ihre Stimme zu hören. Er schob den Schreibtisch zur Seite und öffnete die Tür. Miss Elwood trug einen Morgenmantel und Pantoffeln und war mit einem Golfschläger bewaffnet.
    »Großer Gott! Was ist passiert?«
    »Hier waren Diebe!«, keuchte Jonathan. »Jemand ist eingebrochen.«
    Miss Elwood sah ihn zweifelnd an. »Ich habe niemanden gesehen. Bist du dir sicher, dass dir deine Fantasie keinen Streich gespielt hat?«
    »Garantiert! Hier war jemand«, rief Jonathan verzweifelt. »Ich bilde mir das nicht ein! Schau dir die Tür an!«
    Miss Elwood betrachtete das Holz. Die lackierte Oberfläche war kreuz und quer von tiefen, weißen Kratzern durchzogen. Sie runzelte die Stirn.
    »Verstehe. Unschön. Komm. Du kannst heute Nacht in meinem Gästezimmer schlafen.«
    Sie nahm ihn sanft am Arm. Jonathan schloss die Tür des Arbeitszimmers sorgfältig hinter sich ab. Diesmochte zwar vielleicht eine sinnlose Geste sein, aber das war alles, was er jetzt tun konnte. Vorerst musste er das Arbeitszimmer und all seine Geheimnisse unerforscht zurücklassen.

4
    Miss Elwood summte fröhlich vor sich hin, während sie in der Küche hantierte. Sie benutzte eine kleine Trittleiter, die sie behände hinauf- und hinunterkletterte, um an die Dinge hoch oben in den Küchenschränken zu gelangen. Auf dem Herd blubberten in einer Pfanne Bohnen mit Tomatensoße vor sich hin und der Duft von gebratenem Speck lag in der Luft. Im Hintergrund ertönte aus dem Radio ein Popsong, der vor einigen Jahren ein großer Hit gewesen war. Der Morgen dämmerte hell und kühl herauf und durchflutete den Raum mit fahlem Licht.
    Am Küchentisch pustete Jonathan in seine Tasse und nippte vorsichtig am Tee. Er war heiß und süß – einfach perfekt. Dieser Morgen fühlte sich in vielerlei Hinsicht großartig an, sodass Jonathan die Ereignisse des Vorabends fast wie ein Traum vorkamen. Er war sich nicht mehr so sicher, was Wirklichkeit war und was nicht. Okay, irgendetwas war mit der Arbeitszimmertür geschehen, aber war das wirklich ein Einbrecher gewesen? Miss Elwood hatte niemanden gesehen. Vielleicht hatte es einfach nur mit dem Wind zu tun. Vielleicht hatte er das Ganze nur geträumt. Die verängstigtenPatienten im Krankenhaus mussten seine Fantasie in Gang gebracht haben.
    Miss Elwood stellte das Frühstück auf den Tisch und setzte sich ihm gegenüber. Normalerweise machte Jonathan sich nichts aus Frühstück, aber heute stürzte er sich hungrig auf das Essen.
    »Vorsichtig. Du verdirbst dir sonst noch den Magen.«
    Jonathan hörte nicht auf sie und stopfte sich den nächsten Toast in den Mund.
    »Nun, ich habe heute Morgen die Schule angerufen und ihnen die Lage erklärt. Ich muss sagen, sie waren nicht besonders verständnisvoll. Sie haben eine Menge Fragen gestellt, als ob sie mir nicht glauben würden. Kannst du dir das erklären?«
    Schuldbewusst nippte Jonathan kurz an seinem Tee. In Anbetracht seiner Fehlzeiten war er nicht überrascht, dass man ihr nicht glaubte.
    »Keine Ahnung. Lehrer sind halt so.«
    »Nun, letztendlich haben sie mir doch zugehört, und sie haben gesagt, dass du für den Rest der Woche nicht in die Schule gehen musst. Was willst du mit deiner Zeit anstellen? Du kannst schließlich nicht den ganzen Tag bei Alain sitzen.«
    »Weiß noch nicht. Ich will heute Morgen zurück zum Haus. Es ist ein ziemliches Chaos und ich würde gerne etwas aufräumen. Weißt du, falls es ihm bald besser gehen sollte, dann …«
    Miss Elwood nickte. Sie hatte die Ereignisse der vergangenen Nacht mit keinem Wort erwähnt und Jonathan war ihr dafür sehr dankbar.
    »Natürlich. Ich muss am späteren Vormittag in die Stadt, aber davor könnte ich dich begleiten, wenn du möchtest.«
    »Nö. Ist schon in Ordnung.«
    Sie lächelte und ließ ihn allein sein Frühstück beenden. Um zehn Uhr machte sich Jonathan auf den kurzen Heimweg. Er hatte Miss Elwood

Weitere Kostenlose Bücher