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Die Schattenwelt

Titel: Die Schattenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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reichte es ihm. Ungestüm nahm der Wermensch einen großen Schluck und bekleckerte sein Hemd. Vendetta schauderte und nippte an seinem Glas. Das Mädchen wandte sich um, ging und war fast schon zur Tür hinaus, als ihr Herr sie zurückrief. Jonathan blieb das Herz stehen.
    »Oh, Raquella. Ich glaube, du kennst Carnegie.«
    Sie nickte, errötete leicht und lächelte den Wermenschen schüchtern an, der ihr seinerseits fröhlich zuwinkte.
    »Hallo, junge Dame. Wie geht es deiner Mutter und deinem Vater? Ich habe sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.«
    »Dank Ihrer Hilfe geht es ihnen gut, Mister Carnegie.«
    »Schön. Grüße sie von mir.«
    Vendetta lächelte träge und goss sich aus der Flasche nach.
    »Und hast du Mister Carnegies Geisel Tobias schon kennengelernt, Raquella?«
    Schließlich fiel ihr Blick nun doch auf Jonathan. Das kurze Aufleuchten ihrer Augen verriet, dass sie ihn wiedererkannte. Zu ihrer beider Glück drehte ihnen Vendetta gerade den Rücken zu. Jonathan nickte höflich und versuchte, unbekümmert zu wirken. Carnegie musste gespürt haben, was vor sich ging, denn er warf Raquella einen kurzen Blick zu und legte einen Finger an seine Lippen.
    Sie begriff sofort und nickte nur kurz.
    »Hallo, Tobias. Du kannst dich glücklich schätzen, einen so ehrenwerten Entführer zu haben.«
    »Ich habe nicht das Gefühl, dass ich Glück habe. Er hat bereits versucht, mich zu fressen«, antwortete Jonathan wahrheitsgetreu.
    Vendetta klatschte begeistert in die Hände.
    »Der Junge hat ja doch Geist! Ich dachte schon, er würde nur dasitzen und schwitzen! Du kannst jetzt gehen, Raquella. Ich denke, du hast genügend Eindruck gemacht.«
    Die Wangen des Mädchens färbten sich erneut rot, sie knickste nochmals und verließ eilig das Glashaus. Carnegie nahm einen weiteren großen Schluck, als Vendetta sich wieder zu ihm drehte.
    »Nun denn, Wermensch. Du hast genügend zu trinken bekommen. Übernimmst du nun den Fall oder nicht?«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das ablehnen könnte. Ich mach’s.«
    »Ich wusste, dass es irgendwo in deinem Kopf so etwas wie ein Gehirn gibt. Kluge Wahl. Komm her. Ich möchte dir etwas zeigen.«
    Vendetta zwinkerte ihm verschwörerisch zu und begab sich von der Terrasse in das Gestrüpp. In diesem Teil des Glashauses hatten sich die Pflanzen über die Grenzen ihrer Beete hinweggesetzt und überwucherten den Boden. Dichtes Laubwerk spannte sich über ihren Köpfen. Jonathan fühlte sich plötzlich sehr erleichtert, dass Carnegie vor ihm ging. Sie erreichten ein Zierbecken, das in die Erde eingelassen war unddessen glatte Oberfläche glänzte. Neben dem Becken stand eine schmiedeeiserne Bank, die vermutlich dazu dienen sollte, dass man die Ruhe des Ortes inmitten der Pflanzen genießen konnte. Der momentane Nutzer der Bank hatte dafür allerdings keinen Sinn. Er war tot. Der Körper kauerte auf der Bank und seine steifen Gliedmaßen waren krampfhaft verdreht. Sein Gesicht war kalkweiß und der Mund zu einem immerwährenden Schrei geöffnet. Wie auch immer er gestorben war, er hatte vorher gelitten.
    Jonathan rang nach Luft. Er hatte nie zuvor einen Toten gesehen. Die Haltung erinnerte ihn an seinen Vater, wenn ihn die Finsternis überkam, aber dieser Mann würde nie wieder erwachen. Carnegie packte ihn fest an der Schulter, um ihn zu stützen, und schob sich vor Jonathan. Vendetta ging ruhig zur Bank hinüber und schüttelte mit gespieltem Bedauern den Kopf. Anschließend besprühte er die Pflanze hinter dem Kopf des Toten.
    »Ich wollte, dass dieser Mann für mich arbeitet, und habe ihm in der Tat ein sehr großzügiges Angebot gemacht, aber er hat es abgelehnt. Er behauptete, dass er sich Sorgen wegen der Verantwortung machen würde. Ehrlich. Ich habe versucht, ihn umzustimmen, aber er wollte nicht auf mich hören.«
    »Und was haben Sie ihm angetan?«
    Es war Jonathan, der mit zitternder Stimme diese Frage stellte. Vendetta wandte sich ihm zu, lächelte und gab dabei den Blick auf seine langen, scharfen Fangzähne frei.
    »Was ich ihm angetan habe? Ich habe ihn gebissen und ihn bis auf den letzten Tropfen Blut ausgesaugt. War eine eher bescheidene Mahlzeit, Tobias. Er war auch eine sehr bescheidene Person.«
    Jonathan trat angewidert einen Schritt zurück. Seine Knie wurden weich, und er kämpfte mit einer starken Übelkeit, die in ihm aufstieg. Vendetta beobachtete sein Ringen mit unverhohlenem Vergnügen.
    »Aber Carnegie. Das ist höchst ungerecht. Du bist einer

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