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Die Schattenwelt

Titel: Die Schattenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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die Nase.
    »Skeet? Der ist vor einigen Minuten aus der Kutsche gefallen. Er weiß, wo er uns finden kann. Vorausgesetzt, dass Carnegie ihn nicht vorher umbringt.«
    Humble und Marianne nahmen Jonathan in ihre Mitte.
    »Versuch nicht wieder davonzulaufen, mein Kleiner.«
    »Ich werde um Hilfe rufen«, drohte Jonathan.
    Marianne kicherte.
    »Sieh dich um, mein Lieber. Du bist in Darkside. Wer sollte dir deiner Meinung nach helfen?«
    Mitten in der Menge drehte sich ein ältlicher, glatzköpfiger Mann um und starrte die Neuankömmlinge an. Jonathan bat ihn mit einen flehentlichen Blick um Hilfe, woraufhin der Mann seine Zähne fletschte. Sie waren alle spitz zugefeilt. Jonathan schreckte entsetzt zurück und machte einen Schritt auf Marianne zu.
    »Ich wusste, dass du dich meiner Sichtweise anschließen würdest. Ist es nicht schon so weit? Ich habe nicht vor, die ganze Nacht hier im Regen zu stehen, während Grimshaw überlegt, wann er die Türen öffnen soll.«
    Humble sah sie mitfühlend an und legte ihr seinen ausladenden Mantel um die Schultern. Sie tätschelte ihm dankbar die Hand. Die klassische Musik schwoll an, und die schluchzenden Geigen wurden von einem aufbrandenden Paukenwirbel begleitet, der Jonathan durch Mark und Bein fuhr. Ein erwartungsvolles Raunen ging durch die Menschenmenge. Die Musik wurde lauter und lauter, schallte durch die verlassene Straße und erhob sich wie ein explodierendes Feuerwerk in den Nachthimmel über Darkside. Plötzlicherstarb sie ohne Vorwarnung und die Eingangstüren schwangen wie von Geisterhand geöffnet nach innen. Die Menge strömte in das Gebäude.
    Marianne seufzte.
    »Ich finde, Grimshaw wird auf seine alten Tage etwas zu melodramatisch.«
    Dann wurde sie sich wieder Jonathans gewahr.
    »Bleib nah bei mir, mein Kleiner. Das Kabinett steckt voller böser Überraschungen, und ich habe nicht so viel Zeit damit verbracht, dich zu fangen, nur um dich gleich wieder zu verlieren.«
    Sie stiegen als Letzte die Treppen zum Eingang hinauf und liefen einen gewundenen Korridor entlang. Schmutzige rote Glühbirnen verbreiteten ein schummriges Licht in der Dunkelheit. In die Wände waren kleine Zellen mit Glasfronten eingelassen, hinter denen abgemagerte Tiere mürrisch vor sich hin starrten. Jonathan lief an einem Schimpansen vorbei und sprang erschrocken zur Seite, als dieser plötzlich mit dem Kopf wütend gegen die Scheibe hämmerte.
    »Bist du dir sicher, dass uns hier nichts passieren kann?«, fauchte er Marianne an.
    »Eigentlich nicht. Darum geht es in diesem Kabinett. Die Tiere werden sehr nahe an die Besucher herangelassen. Weißt du, man bezahlt nicht dafür, dass man hier reinkommt , sondern dafür, dass man wieder rauskommt . Das ist der entscheidende Unterschied.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Ist vielleicht auch besser so, mein Kleiner.«
    Sie drückte seine Hand, und Jonathan war abermals darüber erstaunt, dass seine Entführerin so freundlich zu ihm war. Er wusste, dass sie gefährlich war und dass er sie hassen sollte, aber er konnte es einfach nicht. Seltsamerweise war er in diesem Moment froh, dass sie bei ihm war.
    Der Korridor verlief in einem weiten Bogen. Jonathan hielt sich dicht an Marianne und Humble und achtete darauf, den Zellen nicht zu nahe zu kommen. Dies hier war anders als jeder Zoo, den er je zuvor gesehen hatte. Neben den Glasscheiben waren keine Schilder angebracht, und er war sich oft unsicher, was sich hinter ihnen verbarg. Er konnte die Kreaturen rascheln hören und sah ihre Schatten in die schützende Dunkelheit der Ecken entschwinden. Eine anhaltende Bedrohung lag in der Luft, die alle verstummen ließ. Die angespannte Atmosphäre übertrug sich sogar auf Humble, dessen eigenartiges Dauerlächeln einem wachsamen Blick gewichen war. Sie hatten sich weit hinter die anderen Besucher zurückfallen lassen. Plötzlich zerriss ein entsetzter Aufschrei die Stille. Instinktiv stellten sich Humble und Marianne beschützend vor Jonathan. Der alte Mann mit den abgefeilten Zähnen torkelte wie ein Betrunkener auf sie zu. Er umklammerte mit den Händen seinen Nacken. Erst auf den zweiten Blick bemerkte Jonathan die Schlange, die sich wie eine Schlinge um seinen Hals gelegt hatte. Ihre Schuppen glänzten im blutroten Schein der Beleuchtung. Träge, beinahe beiläufig verstärkte sie ihren Würgegriff und zwang denkeuchenden Mann in die Knie. Er rang verzweifelt nach Luft, verlor den Kampf und fiel wenige Sekunden später zu Boden.
    Marianne blieb

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