Die Scheune (German Edition)
einen großen Teil seiner Lebensfreude. Sarah sah ihn seitdem nie wieder mit Freude in einen Wagen steigen. Dessen Pflege war schier uninteressant.
Sarah war sich nicht bewusst, wie viel der Wagen ihm bedeutet hatte. Es war seine erste Anschaffung in Kalifornien gewesen. Eine Art Grundstein oder Symbol für ein neues Leben nach dem auf der Farm.
*
In das Haus kehrte eine seltsame Spannung.
„Dane, wach auf“ , entfuhr es Sarah in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 1996. „Hör doch, das Telefon!“
Dane horchte auf und schaute auf die Uhr. Es war kurz nach zwei. Unten im Wohnzimmer läutete das Telefon, unbarmherzig und ausdauernd. Ihm schwante nichts Gutes. Er lief polternd die Treppe hinunter und nahm den Hörer ab. Die Schatten des Vollmonds ließen undeutlich die Umrisse der Küchenmöbel erkennen. Es fröstelte ihn. „Ja, hallo“, sagte er vorsichtig und drückte frierend seinen linken Arm an seine Brust. Es war schon Mai, aber die Kälte schien nicht nachlassen zu wollen. Wehmütig dachte er an die Wärme in Glendale um diese Zeit.
Flehend und bestürzt klangen die Worte von Mr. Heddon durch den Hörer: „Dane! Oh, Gott, Dane! Du musst rüberkommen. Heather hat einen Herzinfarkt oder so. Komm doch schnell, ja? Der Krankenwagen ist schon unterwegs!“
Dane sackte in sich zusammen und antwortete kurz: „Ja, ich komme.“
Er hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde, dennoch fühlte er sich unvorbereitet. Er rief laut zu Sarah hoch. Sie kam mit einigen Kleidungsstücken auf dem Arm die Treppe heruntergerannt. Dane lief halb nackt über den Hof durch die kalte Dunkelheit zur Scheune, dann fuhr er heulend mit dem Chrysler vor. Sarah hatte sich geschwind angezogen und stand zitternd in der Türe. Sie hielt eine Hose für Dane in der Hand. Sie hatten Angst. Beide.
Gemeinsam rannten sie in das hell erleuchtete Haus der Heddons. Unten war niemand, also liefen sie die Treppe hinauf. Der Anblick, der sich ihnen bot, ließ beide in der Tür verharren. Mrs. Heddon lag leblos in ihrem Bett, während ihr Mann betend davorkniete. Als er die Anwesenheit von Dane und Sarah bemerkte, erhob er seinen alten Körper kummervoll und sah bitter zu ihnen hinüber. Sarah nahm ihn mit hinunter in die Küche.
Dane trat zu Mrs. Heddon ans Bett. Er dachte an seine Mutter, die er nicht sterben gesehen hatte. Er hatte sie so geliebt, und dann war sie ohne ihn gestorben.
Dane sah plötzlich, wie sich die Gesichtszüge von Mrs. Heddon veränderten und zu denen seiner Mutter wurden. Er streichelte ihre Wange und sagte weinend: „Mom.“ Er presste seinen Mund auf den von Mrs. Heddon und stieß sein Leben in sie hinein. Sie ließ es ungenutzt wieder heraus. Er stieß es wieder in sie hinein. Sie wollte es nicht mehr, und er wurde hektisch. War sein Leben – sein Atem – nicht gut genug für sie? Er ließ wütend von ihr ab und dachte weiter nach. Das Herz! Er presste seine Hände in regelmäßigen Abständen auf ihre Brust. Aus Wut wurde Verzweiflung. „Nein, Mom, nicht so! Anders, aber nicht so!“, wimmerte er. Seine Wiederbelebungsversuche wurden kräftiger.
Sarah hörte etwas von oben. Sie hörte Danes Stimme, die wimmerte, und Sarah wusste Bescheid. Dabei wusste sie garnichts! Sie sah vom Fenster aus die Ambulanz herannahen.
Dane hielt inne. Er war erschöpft. Er wollte ihr nicht wehtun, vielleicht hatte er zu kräftig gedrückt. Er wollte sie doch nicht verletzen! Ein Kampf war zu Ende. Sinnlos! Er sah einen Nebel durch das Zimmer kriechen, der Mrs. Heddon ihre Gesichtszüge wiedergab. Der Nebel hüllte auch ihn ein. Er hörte Stimmen. Ein fröhliches Lachen zerrte sich in seine Gedanken. Er roch den Gänsebraten aus der Küche, sah den Tannenbaum – ihr zweites Weihnachtsfest auf der Farm. Dann holte ihn ein anderes Lachen ein. Er sah Sarah mit dem Blumenstrauß in der Hand und seinem Ring an ihrem Finger – seine Hochzeit. Sie lächelte in die Kamera. Mrs. Heddon kicherte ihm von hinten etwas ins Ohr, dass auch er lachen musste. Ihre Stimme hatte so furchtbar in seinem Ohr gekitzelt. Das Bild seiner Hochzeit stand immer noch am selben Platz im Wohnzimmer der Heddons. Alle hatten gelacht – und Dane nur durch das Kitzeln im Ohr.
Das Lachen verstummte. Durch den Nebel bewegte sich etwas Weißes. Es kam auf ihn zu.
Mit den Worten: „Darf ich mal?“, stieß ihn der Notarzt zur Seite. Dane taumelte. Er hörte, wie ihn jemand ansprach: „Alles in Ordnung?“
Dane kam wieder zu sich, nickte und ging
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