Die Scheune (German Edition)
teil. Er machte lange Spaziergänge oder vergrub sich hinter Büchern, die er sich aus der Bücherei der Klinik auslieh. Hin und wieder saß er im Park und sah den Gärtnern bei der Arbeit zu. Sarah hielt sich stets in seiner Nähe auf, sprach ihn aber nicht an. Wie ein Schutzengel folgte sie ihm und genoss jede Stunde, die sie einfach nur in seiner Nähe sein durfte.
Dane hatte eine distanzierte Freundschaft zu ihr gewonnen. Oder war es sein Weg ihr näher zu kommen?
Eines morgens bereitete Dane einen kleinen Zettel für Sarah vor, den er ihr nach einem Frühstück reichte. Sie nahm ihn erfreut entgegen und entfaltete ihn. Sie las seine Mitteilung: DANE. Kaum hörbar flüsterte sie: „Hallo, Dane.“
*
Roosevelt war unzufrieden. Dane lehnte jeden Kontakt zu ihm und anderen Patienten ab. Das verursachte Missstimmung, und niemand zeigte mehr Interesse an ihm. Das schien ihm recht zu sein.
Die erste Woche verging und nichts passierte. Zumindest für die Außenstehenden.
Roosevelt war erbost, Dane war verwirrt und Sarah wartete.
Komm, sagte das Loch. Lass uns auf die Reise gehen.
*
Nach einer brühend heißen Dusche schmiss Dane sich auf sein Bett. Er besah sich wieder seinen vernarbten Körper. Seine Erinnerung an den Überfall war plötzlich so gegenwärtig, als sei er gestern erst gewesen. Seine Gedanken glitten hinab in das Loch. Wie ein langer, schwarzer Tunnel zog sich der Gang nach unten. Weit am Ende des Weges schimmerte ein schwaches Licht. Da musste er hin. Es war der Ort, an dem sich alles abgespielt hatte, und zugleich der Ort, an dem alles beendet werden müsste. Er musste jetzt dort hinfinden, wo der Hass regierte.
Dane warf einen Blick zurück. Nur kurz. Oben stand Sarah. Sie lächelte, als würde sie sagen geh weiter und bring es hinter dich. Er sah wieder nach unten. Ein Leben ohne Hass, ohne Sorge war ein Leben mit Sarah.
Dane verharrte in dem Tunnel und besah sich die Wände, die kalt und dunkel das Loch umgaben. Seine Hände ertastete das rissige Gestein. Es war scharf und splittrig. Seiner rechten Hand entwich etwas Blut, als er das Gestein berührte. Er presste die Wunde an seine Lippen und trank sein eigenes Blut. Der Tunnel war gefährlich und mit Vorsicht zu genießen. Dane besah sich seine Wunde an der Hand. Als er näher hinsah, hatte sich etwas in sie hineingezeichnet. Es war kein Blut und auch kein Schmutz von dem Gestein. Es war die Schwärze des Lochs, die deutlich das Wort Wahrheit in die Innenflächen seiner Hand zeichnete. Ein Wort, mit dem sich Dane erst wieder anfreunden musste. War die Wahrheit doch zu etwas geworden, das er in den letzten Jahren nur noch selten benutzt hatte. Mit Sarah war die Wahrheit wieder aufgetaucht. So unvermittelt, so unvermeidbar. Die Waffen der Lüge hatte sie ihm beim ersten Treffen schon entzogen.
Ganz allein die Wahrheit musste ausreichen, um dem ganzen Spektakel das nötige Feuer zu verleihen. Dane ging weiter in den Tunnel hinein ...
Etwas Schattiges baute sich vor dem Licht am Ende des Tunnels auf. Dane wurde plötzlich heiß. Sein Atem begann sich zu beschleunigen. Der Schatten formte sich zu einem Gebäude – einem großen, roten Gebäude.
Dane begann sich auf seinem Bett hin- und herzuschmeißen. Seine Hände begannen um sich zu schlagen und dann, nach vielen Wochen, hörte er wieder seine eigene Stimme, die schrie: „Bitte, nein!“ Es war, als komme die Stimme aus dem Tunnel, in hoher Tonlage – die Stimme eines Kindes.
Danes Atem beschleunigte sich. Es kostete ihn maßlose Anstrengung, mit den Gedanken in dem Tunnel zu verharren. Er wälzte sich herum und fiel mit einem dumpfen Knall zu Boden. Erschrocken öffnete er die Augen und stöhnte lautlos vor sich hin. Sein Hinterkopf schmerzte von dem Aufprall. Er kam langsam in die Höhe und ging ins Bad. Ein Schluck Wasser würde ihm guttun. Er schaute wieder in den Spiegel, stierte auf ein fremdes und verlebtes Gesicht. Er öffnete den Mund und versuchte erneut, seine Stimme zu bezwingen. Ein Würgen ließ ihn in Wut und Hass fallen. Seine Faust zertrümmerte den Spiegel. Blut rann aus seiner Hand.
Er rannte zurück in sein Zimmer, fühlte sich aufgebracht und herausgefordert. Ein schrilles Fiepen im Trommelfell schmerzte ihn so sehr, dass er sich mit beiden Händen die Ohren zuhielt. Dann sah er zur Decke. Der Schmerz wurde stärker, worauf er wieder ins Bad lief und sich Wasser ins Gesicht spritzte. Der Schmerz ließ sich nicht beherrschen. Er rannte
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