Die Scheune (German Edition)
sah auf meine Aufzeichnungen. „John hat für uns etwas recherchiert. Hast du es gelesen?“
Dane nickte.
„Und? Irgendwelche Erinnerungen?“ Ich war wieder voll da und mit unersättlicher Neugier erfüllt.
Dane wurde ruhiger.
„Kevin war mein kleiner Bruder. Er wurde geboren, als ich vier war. Dad hat sich riesig über den kleinen Kerl gefreut. Ich nicht. Ich hatte nur Angst. Der Kleine tat mir leid.“ Dane ging zum Fenster und sah in den dunklen Park hinunter.
„Warum?“, fragte ich, obwohl ich es im Grunde wusste.
„Weil ... weil ...“, stotterte Dane. In der Spiegelung der Fensterscheibe sah ich Tränen, die glitzernd in seinen Augen standen. „Na, ja, weil Dad sich so freute!“ Er packte alles in den kleinen Satz, weil Dad sich so freute und rang sich ein künstliches Lächeln ab.
Um 23.00 Uhr gingen wir wortlos ins Bett.
Sein innerer Schmerz stach nach außen, erst durch kleine Löcher, dann durch die ganze Wand. Die Blockade brach, und Dane schlief sich in einen weiteren schlimmen Traum.
1961. 32 Jahre früher.
Valley Falls / Kansas. Dane, 6 Jahre.
Dane sah die aufklarenden Bilder. Vorangegangener Nebel löste sich in das scharfe Abbild der großen Scheune auf. Sein Vater hatte Kevin an der Hand. Er war bereits zwei Jahre alt, aber seine Schritte waren zu unbeholfen, um ihn auf dieses Alter zu schätzen.
Es war der Tag, an dem sein Vater ihn zum ersten Mal mit in die Scheune nahm. Dane hatte keine Skrupel mitzugehen. Er war jetzt der große Bruder, der schon aufpassen würde. Schließlich war er schon sechs! Und außerdem war Kevin viel zu klein, um diese schlimmen Dinge zu erfahren. So begleitete ihn ein recht beruhigendes Gefühl in die Scheune.
Sein Vater öffnete die Scheunentür und blickte auf seinen Sohn zur linken Seite hinunter. „Na, Dane, wie geht's?“
Dane lächelte unsicher. Sein Lächeln hatte mit den Jahren etwas Hassendes bekommen.
„Wollen mal sehen, ob Klein-Kevin schon was für uns tun kann.“
Das war doch nicht sein Ernst!!
„Nicht, Dad“, flüsterte der kleine Dane, „nicht Kevin.“
„Ach“, krächzte sein Vater und schlug ihn mit der Hand gegen die Stirn. Dane taumelte, fing seinen Sturz aber geschickt ab. Irgendwie roch sein Vater immer nach Schweiß. Er war nie richtig gekämmt, und seine blonden, fettigen Haare hingen ihm ungepflegt in die Stirn. Sein Teint war braungebrannt von der Feldarbeit, die Hände riesig und voll rissiger Hornhaut. Auf Dane wirkten sie beängstigend, zu groß, zu stark, einfach die stärksten Hände der Welt. So rechtfertigte er mit sechs Jahren seine Gehorsamkeit. Es machte das Leben einigermaßen erträglich auf der Farm. Doch diesmal trieb es sein Vater zu weit. Dieser wendete sich dem Zweijährigen zu. Dane dachte an Jeffs Kampf vor zwei Jahren, wie er sich als großer Bruder mutig und selbstlos für ihn eingesetzt hatte, als sein Vater ihn zum ersten Mal anfassen wollte. Jeff hatte einen Kampf auf sich genommen, mit chancenlosem Ausgang und einem Hass, der niemals gesühnt wurde.
Dane war zunächst unsicher, denn immerhin war Jeff damals zehn Jahre alt gewesen. Doch dann sammelte er all seinen Mut zusammen. Er spürte, wie es zu brodeln begann. Erst Wut, dann Zorn, dann Hass. Dann griff seinen Vater an. Er biss ihn ins Bein, schlug auf ihn ein, wo immer er ihn treffen konnte. Hysterisch entluden sich seine Aggressionen, die nicht mehr enden wollten. Egal, ob er Schmerz spüren würde. Er war bereit, dafür zu sterben. Für Jeff, für Kevin.
Will Gelton trat um sich, als wollte er ein lästiges Insekt loswerden. Nachdem es ihm nicht gelang, Dane abzuwehren, packten seine riesigen Hände wieder einmal zu. Zuerst versuchten sie, Danes Hals zu fassen, erwischten ihn jedoch nur am Hemdkragen. Dane sah verstört auf und schlug wild in die Luft. Da waren sie wieder, die stärksten Hände der Welt! Sein Vater lächelte verächtlich über die Hilflosigkeit seines Sohnes und trug ihn hinüber zum Schweinestall. Dort schmiss er ihn kraftvoll zwischen die Säue und Ferkel. Dane rappelte sich benommen auf und stürzte zu dem Tor des Stalls. Das konnte sein Vater doch nicht tun! Seine kleinen Hände rissen an dem Tor, und nach vielen Tritten musste er hinnehmen, dass es für ihn nicht zu öffnen war. Auch mit seiner Größe konnte er es nicht überwinden. Er schrie! Tränen der Wut liefen ihm über das Gesicht, und er wischte sie verächtlich mit seiner kleinen Hand fort. Dunkle Schmutzstriemen malten sich auf seine
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