Die Scheune (German Edition)
Aufmerksamkeit. Ein Schatten huschte unter seinem Fenster vorbei! Eine Schaufel stach in den Boden! Etwas plumpste in die Erde! Kein Hund!, durchfuhr es Dane zitternd. Seine sechs Jahre hatten ihn mächtig reifen lassen, nicht nur in seiner Intelligenz, sondern auch seine Emotionen und seine Fassungslosigkeit. Vor zwei Jahren war es dann sicherlich auch kein Hund gewesen. Gott! Es war Jeff gewesen! Aber was half es? Jetzt. In ihm war nichts mehr kaputtzumachen, es war schon alles zerbrochen. Seine Seele war zu einem Trümmerhaufen der stärksten Hand der Welt geworden.
Dane nahm seit diesem Tag nichts mehr wahr, auch als seine Eltern versuchten, ihm den Tod seines Bruders durch die Folgen einer Darmkrankheit klarzumachen. Sein Leben nahm eine abrupte Wende. Er sah seine Mutter nie mehr lachen, und er fühlte seine Mutter nie mehr an seiner Haut. Weder sie noch er wollten das.
Wenige Tage nach Kevins Tod strich Dane die Namen seiner Brüder aus seinem Gedächtnis. Das machte vieles leichter, besonders seine Trauer und seine Verzweiflung. Seit dieser Zeit war er nicht mehr in der Lage, seine Aggressionen auf natürliche Weise abzubauen. Aufgestaut sammelte er alles in eine innere Schublade und schloss sie zu.
Er beherrschte das Schweigen, wie kaum ein anderer.
1993. 32 Jahre später.
Dallas / Texas. Dane, 38 Jahre.
Am nächsten Morgen schreckte ich aus meinem Bett hoch, als kalte Wassertropfen auf mein Gesicht fielen.
„Jim, wach auf!“, fuhr Dane mich an. „Ich hab dir was zu sagen.“
Meine Müdigkeit war schlagartig verschwunden und verwandelte sich in höchste Aufmerksamkeit. Eine Fähigkeit, die mir im Krankenhaus durch die häufigen Bereitschaftsdienste zueigen geworden war.
Dane hatte geduscht und konnte es kaum erwarten, von seinem Traum der letzten Nacht zu erzählen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er geträumt hatte. So hatte ich auch keine Aufnahmen oder Aufzeichnungen gemacht.
„Erzähl!“, drängte ich neugierig und kam unter meiner Decke hervor.
„Nein, nicht so!“ Dane fuchtelte mit seinen Händen herum. „Schalt das Tonband ein! Es ist eine lange Geschichte, die ich bestimmt kein zweites Mal so erzählen werde.“
Ich sprang aus dem Bett und holte den Rekorder.
Dane erzählte seine ganze Geschichte von Anfang an, während der Rekorder alles aufzeichnete. Sie begann mit seinen ersten Erinnerungen im Alter von vier Jahren und endete schließlich mit dem Tag, als er nach Kalifornien kam. Seine Haltung war dabei erstaunlich gefasst. Ich zog mich zwischenzeitlich an und wusste nicht, wo mir der Kopf stand. Ein Gefühl des Sieges überkam mich. Ich hatte es tatsächlich geschafft, meinen Freund aus seiner Schweigsamkeit zu locken.
Dass ich es gar nicht war, der sein Schweigen brach, erfuhr ich erst viel später.
Das hast du gut gemacht, lobte ihn das Loch.
Wird er jetzt kommen?, fragte Dane.
Warum so eilig?
Weil Jim mich jetzt hier wegholen wird.
Du hast vielleicht zu schnell gehandelt. Du solltest nachhelfen. Such dir einen Helfer in der Klinik.
Wird dann die Zeit reichen?
Das werden wir sehen.
Dane ging auf die Suche.
*
Roosevelt saß im Frühstücksraum, während in der Küche reges Treiben herrschte. Die Vorbereitungen eines neuen Kliniktages waren in vollem Gange. Der Arzt erkannte schon an meiner Hektik, dass heute Nacht etwas Wichtiges passiert sein musste. Er tupfte sich vornehm den Mund ab und setzte ein breites Grinsen auf. „Guten Morgen“, sagte er freundlich.
„Haben Sie Zeit? Wir brauchen Ihre Hilfe“, sagte ich außer Atem. Dane stand hinter mir. Er hatte seinen Teil erfüllt und sah nun voller Erwartung den Reaktionen entgegen.
„Sicher!“, sagte Roosevelt und war zweifellos gespannt auf diese Neuigkeiten. Er ging mit mir in sein Büro.
Dane blieb zurück. Er wollte Johnathan informieren. Ich war einverstanden. Johnathan würde sich bestimmt freuen, seine Stimme zu hören.
Roosevelt bot mir einen Stuhl an.
„Danke, aber wir haben nicht unbedingt viel Zeit“, sagte ich und wedelte mit der Kassette vor seiner Nase herum. „Hier ist die Geschichte drauf, auf die wir so lange gewartet haben. Von Anfang bis Ende. Es handelt sich um Kindesmissbrauch an drei kleinen Jungen mit zweimaliger Todesfolge.“
Diese kurze Aussage genügte, um Roosevelt zu erschüttern. Er sah mich mit ernster Miene an.
„Gott, ist das wahr?“, fragte er betroffen. „Zwei tote Kinder?“
Ich nickte.
„War Mr. Galloway das überlebende Dritte?“,
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