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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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schien entschlossen, die Männer aus dem Westen weiter gefangen zu halten.
    Auch Timonides wollte unbedingt die Heimreise antreten. Obwohl er dieses exotische Land und seine Kultur faszinierend fand und eigentlich nichts dagegen hatte, hier als Dauergast zu leben, machte er sich Sorgen um seinen Sohn.
    Derweil Nestor von einem Verkaufsstand zum nächsten schlenderte, wurde Timonides auf drei Frauen aufmerksam, die sich über den Marktplatz schleppten und bei deren flehenden Bitten um Essen und Erbarmen sich ihm der Magen umdrehte. Im Nacken miteinander vertäut, hoben sich die Köpfe der drei von einem hölzernen Brett ab, auf dem ihre Schandtaten aufgeführt waren. Da Timonides der chinesischen Schriftzeichen nicht mächtig war, stellte er sich vor, dass sie es entweder ihren Ehemännern gegenüber an Gehorsam hatten fehlen lassen oder Verleumdungen über ihre Nachbarn verbreitet hatten. Vergehen von Frauen waren nicht so lasterhaft wie die der Männer, die Bestrafung dafür aber nicht weniger grausam.
    Er wandte sich ab und wieder Nestor zu, der der Darbietung zweier Gaukler zusah. Nicht wiederzuerkennen war sein Sohn in letzter Zeit, er wirkte manchmal ängstlich, manchmal auch rastlos, was dem für gewöhnlich so friedfertigen und ausgeglichenen Nestor gar nicht entsprach. Er benahm sich fast so, als habe er
verinnerlicht
, dass sie in dieser Stadt gefangen gehalten wurden. Seltsam. Wo er sich nicht einmal einen klaren Begriff von Zeit und Entfernung machen konnte, Antiochia für ihn gleich auf der anderen Seite der Mang-Berge lag und sie seiner Meinung nach erst gestern aufgebrochen waren. Die Jahre und Meilen, nach denen sich bei einem vernunftbegabten Menschen der Wunsch einstellte, nach Hause zurückzukehren, würden bei Nestor normalerweise nicht ins Gewicht fallen.
    Worin also lag der Grund für diese Rastlosigkeit?
    Und wo blieb Kühner Drache, auf den sie bauten, dass er ihnen zur Flucht verhalf?
    Seit ihrer Ankunft war es Sebastianus und seinen Gefährten nicht gestattet gewesen, sich außerhalb von Luoyang aufzuhalten. Damit wollte der Kaiser zweifellos seine Macht demonstrieren. Er hatte sich des Abgesandten des römischen Cäsars auf die gleiche Weise bemächtigt wie sich Soldaten auf dem Schlachtfeld der feindlichen Fahnen bemächtigen. Kunde davon, zusammen mit kostbarem chinesischen Seidenbrokat, Lackwaren und Porzellan, dürfte Ming bereits über Handelsrouten nach Westen auf den Weg gebracht haben, um sich damit zu brüsten, den Abgesandten Roms ein großherziger Gastgeber zu sein, und darauf zu hoffen, dass die Nachricht schlussendlich diesen
anderen
Kaiser erreichte, den man in Rom Cäsar nannte.
    Natürlich war es durchaus möglich, dass diese Botschaft überhaupt nicht bis zu Nero vordrang. Sollte sie es dennoch tun, konnte Nero nichts zur Rettung von Sebastianus und seinen Gefährten unternehmen. Andererseits war, wie Timonides zugeben musste, ihre Gefangenschaft in der Hauptstadt ja keineswegs unerfreulich, sondern gestaltete sich überraschend angenehm, sogar luxuriös. Die Villa, die er sich mit seinem Sohn sowie mit Sebastianus und Primo teilte, war geräumig. Ein Stab von Dienern umsorgte sie. Ihre Zimmerfluchten gingen zu einem Garten hinaus, den man den Garten des Reinen Herzens nannte und in dem plätschernde Springbrunnen das Auge erfreuten, Seerosenblätter auf der glatten Oberfläche des Teiches trieben, zahme Silberreiher durch flaches Wasser wateten und Singvögel in luftigen Käfigen tirilierten. Die Besucher aus dem Westen genossen vorzügliche und reichhaltige Mahlzeiten, konnten sich auf mannigfaltige Art die Zeit vertreiben, und nachts standen ihnen verschwiegene junge Mädchen zur Verfügung.
    Anderen Frauen begegneten sie auf dem kaiserlichen Anwesen nur selten. An warmen, von Jasminduft erfüllten Abenden vernahmen sie jedoch gelegentlich Stimmen auf der anderen Seite des Tors des Flüsternden Bambus, frauliches Plappern und Gelächter und dazu das Klappern von Mah-Jongg-Steinen – die Mutter des Kaisers, Schwestern, Nichten, Tanten und Konkubinen samt Hunderten von Dienerinnen und Eunuchen vertrieben sich die Stunden mit Müßiggang.
    Eigentlich war es das Paradies auf Erden, sagte sich Timonides. Aber es war nicht Rom. Und da Sebastianus, Primo und er bereits jeden Zoll dieser zwei Meilen langen und eine Meile breiten Stadt erkundet hatten – von den verdreckten, übervölkerten Armenvierteln im Süden, wo Familien in Hütten gepfercht hausten und kaum ihr Leben

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