Die Schicksalsgabe
noch größer als die des parthischen Provinzgouverneurs und des Marionettenprinzen auf Babylons Thron.
Auf dem Platz hielt die kleine Prozession an. Der Hohepriester schlug mit seinem Stab aufs Pflaster und verkündete mit lauter Stimme: »Babylon wird von falschen Propheten, Wundertätern, Heilern und Scharlatanen heimgesucht, die danach trachten, Bürger vom wahren Glauben abzubringen. Diese Betrüger hier haben wir festgenommen und zum Platz der Sieben Jungfrauen gebracht, wo sie sich für ihre Vergehen verantworten mussten. Da sie für schuldig befunden wurden, werden sie nun an den Füßen aufgehängt, auf dass sie sterben und anderen eine Warnung sind. Darüber hinaus wird man ihre Leichname nicht zum Begräbnis im Familienkreis freigeben, sondern auf einem öffentlichen Müllhaufen verbrennen und ihre wertlose Asche anschließend in den Fluss streuen.
Wisset hiermit um ihre Verbrechen«, fuhr er fort und deutete mit seinem Stab jeweils auf einen der Gefangenen. »Alexamos der Grieche, schuldig des Verkaufs mit Makeln behafteter Tauben und Lämmer als Opfergaben für Ishtar! Judah der Israelit, schuldig der Verleumdungen der Götter Babylons, die er verlogen nannte, des Weiteren wegen grundloser Beschuldigungen der Priester Marduks! Kosh der Ägypter, schuldig des Verkaufs von Ziegenmilch, von der er behauptete, sie stamme aus den Brüsten Ishtars! Myron von Kreta, schuldig des Mordes an einer heiligen Prostituierten Ishtars! Simon von Caesarea, schuldig, weil er bekannt hat, zu den Toten zu sprechen.«
Er pochte erneut mit seinem Stab aufs Pflaster, worauf die Wachen die armen Schlucker weiterzerrten und Ulrika sehen konnte, wie grausam man ihnen zugesetzt hatte. Über das Gerichtsverfahren hinaus waren die fünf Männer gefoltert und gebrandmarkt worden.
Sie empfand tiefstes Mitleid mit ihnen. Und gleich darauf blieb ihr schier das Herz stehen. Rabbi Judah!
Jetzt machte sie hinter den Wachen auch mehrere Männer und Frauen aus, die sich weinend aneinanderklammerten – Miriam und ihre Familie. Nach ihrer ersten Rückkehr aus Persien hatte Ulrika die Prophetin aufgesucht, um ihr zu danken, ihr den richtigen Pfad gewiesen zu haben – sie war tatsächlich mit einem Prinzen zusammengetroffen, der sie, wie von Miriam prophezeit, nach Shalamandar geführt hatte. Seither war Ulrika nicht wieder im Haus von Rabbi Judah gewesen. Sie hatte ihn auch nicht predigen gehört, wusste aber um sein zunehmendes Ansehen als Gesundbeter und Wundertäter.
»Sebastianus«, sagte sie, als man den fünf Männern die Ketten abnahm und sie nebeneinander an die Mauer stellte, von der von oben Seile heruntergelassen wurden, »wir müssen dem Einhalt gebieten! Ich kenne einen dieser Männer. Er hat mir einmal geholfen.«
Sebastianus sah die Wachen, die Schilde und Speere und Dolche. »Warte hier«, sagte er und trat aus dem Torbogen heraus.
Sofort stellte sich ihm einer der Wachen in den Weg, deutete mit der tödlichen Speerspitze auf seine Brust.
Entsetzt verfolgte Ulrika, wie den Verurteilten, die apathisch wirkten und so, als bekämen sie gar nicht mit, wie ihnen geschah, die Kleider abgestreift wurden. Standen sie unter dem Einfluss eines Betäubungsmittels?
Aber dann sah sie, dass Rabbi Judah keine derart humane Behandlung erfahren hatte. Stolz und in aufrechter Haltung ließ er sich von den Soldaten nackt ausziehen, die langen Locken abschneiden und den Bart stutzen. Diejenigen Zuschauer, die noch nie einen beschnittenen Mann gesehen hatten, glotzten und zeigten mit Fingern auf ihn, einige kicherten, abfällige Bemerkungen wurden laut.
Die Frauen in Judahs Familie schrien auf und bedeckten die Augen. Eine von ihnen wurde ohnmächtig und sank zwei männlichen Verwandten in die Arme. Judah blieb gelassen, sah, während die Soldaten ihm die Kleider vom Leib rissen, teilnahmslos über die Menge hinweg.
Als sich ein Soldat daranmachte, die Lederriemen von Judahs Arm und seiner Stirn zu lösen, hielt ihn der Hohepriester davon ab. »Lass ihm seine ihm so kostbaren religiösen Symbole, auf dass den Leuten sein Verstoß gegen Marduk deutlich vor Augen steht. Und damit auch sein Gott ihn sehen und vielleicht retten kann.«
Wie betäubt verfolgte Ulrika, wie die Wachen jetzt Stricke um die Knöchel der Männer schlangen. Gleich darauf wurden ihnen die Füße weggezogen. Sie stürzten zu Boden. Zwei von ihnen schlugen mit dem Kopf auf und verloren – welch gütiges Geschick – das Bewusstsein. Zwei andere fingen an zu
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