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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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einfachen Zelten und den Palmen einen Mann ausmachen.
    »Da ist niemand, Liebes«, sagte die Mutter.
    »Er hat Honig! Er hat Datteln!« Das kleine Mädchen bäumte sich auf, strampelte sich frei und stürzte zu Boden.
    »Kindchen!« Erschrocken griff die Mutter nach der Kleinen.
    Aber das Mädchen stand unvermittelt auf und entfernte sich noch etwas unsicher auf Beinen, die ein Jahr lang bewegungslos gewesen waren. Die Umstehenden verharrten in fassungslosem Erstaunen. Das Kind, das gerade noch nicht laufen konnte, rannte jetzt. Rannte auf Judahs Grab zu.
     
    »Warum gibst du mir keine klare Antwort?«, fragte Sebastianus zusehends verärgert. »Du sprichst in Rätseln! Nein, nicht einmal das, denn Rätsel kann man lösen! Dagegen kann ich mit dem, was du sagst, nichts anfangen!« Er stand auf. »Ich habe genug Zeit vergeudet.«
    »Warte, Sebastianus Gallus …«
    Er wandte sich um. Blinde Augen sahen ihn nicht an, als eine geflüsterte Prophezeiung über ihre Lippen kam …
    Als er die Wahrsagung vernahm, verlor er vollends die Fassung. »Jetzt weiß ich, dass du eine Betrügerin bist!«, brüllte er die Chaldäerin an. »Was du da eben gesagt hast, wird sich niemals bewahrheiten! Bei meinem Leben, das kann ich dir versprechen!«
    Als er die dreihundertdreiunddreißig Stufen hinabstürmte, war Sebastianus überzeugt, dass sein Argwohn berechtigt war. Was die Alte ihm prophezeit hatte, war einfach unmöglich, war die Bestätigung dafür, dass die Sterne keine Botschaften vermittelten. Dass es keine Götter gab. Und auch nicht so etwas wie Wunder.
     
    »Liebes!« Laut rufend lief die junge Mutter ihrer kleinen Tochter hinterher.
    Mit angehaltenem Atem verfolgte die Menge das Geschehen. Selbst Primo und seine Männer kamen nicht aus dem Staunen heraus, ein Kind, das sie für gelähmt gehalten hatten, plötzlich auf Miriams Lager zurennen zu sehen.
    Auch Ulrika und Timonides beobachteten mit angehaltenem Atem, wie das kleine Mädchen, im Lager angekommen, mit ausgebreiteten Armen herumhopste und rief: »Honig und Datteln! Honig und Datteln!«
    Die Mutter sank vor ihrem Kind auf die Knie, verfolgte mit Tränen in den Augen, wie die dünnen Beinchen auf dem Sand tanzten. »Ein Wunder ist geschehen!«, brach es aus ihr heraus. »Danke, Judah, du Gesegneter, jetzt weiß ich, dass du es warst, der dieses Wunder bewirkt hat! In deinem Namen werde ich Gutes tun! Ich werde dir huldigen bis zum Ende meiner Tage. Ich werde für immer deinen Namen preisen, Verehrungswürdiger Judah!«
    Ulrika fuhr zusammen. Während das Kind herumtanzte und seine Mutter weinte, während die Menge in Jubel ausbrach und die Sonne sich weiter nach Westen bewegte, spürte Ulrika im Innersten, wie sich eine entscheidende und nicht rückgängig zu machende Wende vollzog.
    Sie hatte die Verehrungswürdigen gefunden.
     
    Im goldenen Glanz der untergehenden Sonne galoppierte Sebastianus über die Wüste auf Daniels Burg zu. Atemlos stürmte Ulrika ihm entgegen. Er sprang vom Pferd, zog sie an sich, küsste sie hingebungsvoll. Als er dann sah, dass im Lager Festtagsstimmung herrschte, Fackeln entzündet wurden, dass die Menschen tanzten und sangen, dass Weinschläuche herumgereicht wurden, dass viele auf den Knien lagen und beteten, fragte er: »Was ist denn hier los? Und wer sind all diese Leute?«
    »Etwas Wunderbares hat sich ereignet, Liebster! Aber erst berichte mir von dem Chaldäer. Hat er dich wieder in deinem Glauben bestärkt?«
    Die Stimme von Sebastianus war hart wie Stein. »Alles Lug und Trug. Astrologie ist nichts als Augenwischerei, um einem das Geld abzuknöpfen. Nie wieder werde ich derart leichtgläubig sein.«
    »Wie kannst du so etwas sagen!«, rief sie bestürzt.
    Mit harscher Knappheit erzählte er, was er erlebt hatte. »Und was mir die Chaldäerin prophezeit hat«, sagte er, »ist Folgendes: ›Du besitzt etwas, was dir kostbarer ist als alles andere. Noch ehe ein Jahr vergangen ist, Sebastianus Gallus, wirst du dich aus freien Stücken von diesem Gegenstand, der dir so viel bedeutet, trennen.‹ Himmel nochmal! Jeder Mensch besitzt doch etwas, das ihm kostbarer ist als alles andere! Und während sich die meisten von dem, was ihnen so kostbar ist, unter gewissen Umständen trennen, weiß die Chaldäerin nicht, dass ich vor langer Zeit am Altar meiner Ahnen geschworen habe, diesen Armreif in Erinnerung an meinen Bruder niemals abzulegen.« Er griff sich ans Handgelenk. »Dieser Armreif ist für mich kostbarer als alles andere,

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