Die Schicksalsgabe
der er sich mit dem Repräsentanten Roms verständigte.
»Wir weilen noch immer in Babylon, ehrenwerter Quintus«, fuhr er fort, »und dies aus berechtigtem Grund. Bitte lies diesen Bericht, ehe du in Erwägung ziehst, meinen Meister festzunehmen und des Verrats zu beschuldigen.«
Tagelang hatte er sich den Kopf zerbrochen, wie er Quintus Publius den sich in die Länge ziehenden Aufenthalt von Sebastianus in Babylon erklären konnte; jetzt aber hatte er eine Lösung gefunden.
Wenn Primo einstmals ein Soldat mit eingeschränktem Vorstellungsvermögen gewesen war, alles nur in schwarzweiß gesehen und über keinerlei Geschick für Ausflüchte verfügt hatte, musste er feststellen, dass ihm seit der Rückkehr aus China Abweichungen von der Wahrheit – diplomatische Redewendungen, wie Sebastianus sie zu nennen pflegte – leichter über die Lippen gingen, als er dies je für möglich gehalten hätte. Und jetzt musste er sich etwas ganz Schlaues einfallen lassen, um zu vertuschen, dass der Grund für ihr Verweilen in Babylon der war, dass sich sein Meister verliebt hatte.
Entsprechend seinem erweiterten geistigen Horizont, der sich nicht länger auf schwarz und weiß beschränkte, sondern in Gefilde vorgedrungen war, die grau und braun und sogar rot und grün sein konnten, hielt Primo es für angebracht, dem Repräsentanten Roms eine so ungeheuerliche Geschichte aufzutischen, dass Publius nichts anderes übrig bleiben würde, als sie für bare Münze zu nehmen!
Während er seine nächsten Worte abwägte, ruhte Primos Blick auf der feingliedrigen Hand, die über den Papyrus huschte und alles, was er diktierte, fast ebenso schnell niederschrieb. Dem Vernehmen nach war der Sekretär einer der besten in Babylon. Wie würde er auf das reagieren, was jetzt kam? Andererseits dürfte der Sekretär bereits Hunderte eigenartiger Geständnisse und Erklärungen vernommen haben, darunter vielleicht noch abstrusere als Primo sich zu diktieren anschickte. Wenn der Schreiberling wirklich so versiert war, wie er sich gab, und wenn es zutraf, was man über den Ehrenkodex von Sekretären und Advokaten sagte, müsste er eigentlich völlig gelassen bleiben.
Wie Primo wusste, unterlagen staatlich anerkannte hauptamtliche Sekretäre einem strengen Moralkodex – andernfalls bekamen sie keine Aufträge – und wurden nicht in erster Linie für ihre Schreibfertigkeit bezahlt, sondern für ihr Schweigen. Was immer zwischen Auftraggeber und Sekretär geschah, das Abfassen jedweder Korrespondenz und jedweder schriftlichen Nachricht, unterlag der Geheimhaltung. Dieses Vertrauen zu hintergehen wurde mit dem Tode bestraft, schon weil Sekretäre – wie auch Advokaten – einen entsprechenden Eid ablegen mussten, bevor sie ihre Zulassung erhielten und somit die Erlaubnis, ihren Beruf auszuüben – dessen Bezeichnung sich aus dem lateinischen
secretus
ableitete, was »geheim« bedeutete.
Primo diktierte weiter. »Sebastianus Gallus steht im Bann einer Hexe.« Ohne zu stocken schrieb die feingliedrige Hand diesen Satz nieder. Mithras!, durchfuhr es Primo. Ebenso gut könnte ich dem Mann eine Einkaufsliste diktieren! »Einer Hexe«, fuhr er fort, »die unter anderem behauptet, Verbindung zu den Toten zu haben. Sie setzt meinem Meister zu, indem sie erklärt, mit übernatürlichen Wesen zu sprechen und deshalb die Zukunft voraussagen zu können. Du kannst dir vorstellen, werter Quintus, welche Macht sie über meinen abergläubischen Meister besitzt. Es ist diese Frau, die Ulrika heißt und – nicht zu vergessen – aus demselben Stamm kommt, der dem Römischen Reich und insbesondere General Vatinius in zurückliegenden Jahren viel Ärger bereitet hat, die diesen unseligen Zauber auf Sebastianus Gallus ausübt, mit dem sie ihn in Babylon festhält und Cäsars Schätze aus eigennützigem Interesse für sich beansprucht.«
Primo hoffte inständig, dass die Geschichte von dem Hexenzauber Quintus davon abhalten würde, eine Anklage wegen Verrats zu erheben. Wenn nicht, würde er Sebastianus festnehmen lassen, die Karawane konfiszieren und sie unter Primos Führung nach Rom schicken. Für einen Mann wie Sebastianus, der unter Kaufleuten und Händlern hohes Ansehen genoss, wäre es eine Schmach sondergleichen, wenn man ihm seine Karawane wegnehmen würde, ihn seiner Rechte und Privilegien beraubte und seinen Familiennamen in den Schmutz zöge. Ganz zu schweigen von dem Schicksal, das ihn in der Arena erwartete.
Eine unerträgliche Vorstellung.
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