Die Schicksalsleserin
besser im
Griff behalten können. Er linste zu dem Padischah hinüber, um zu sehen, ob ihn die Regung störte.
Der Herrscher lag inzwischen mit aufgestütztem Ellenbogen eng an die dritte Frau geschmiegt. Seine freie Hand ruhte in der weichen Beuge ihrer Taille, kurz vor der delikaten Wölbung zu ihrem Gesäß, die andere hielt ihre Wange und ihr Kinn umfangen. Jetzt küsste er ihren Mund voll bebendem Verlangen, und die Finger an ihrer Seite krallten sich spielerisch in ihre Haut. Christoph erkannte, dass die Augen ihn so intensiv betrachteten, wie der Mund die Lippen der Frau verschlang. Es war ein Bild der Sinnlichkeit.
Christoph schlug die Lider nieder. Irgendwie konnte er sich nicht vorstellen, dass er einmal so vor dem Kaiser der Christenheit stehen würde. Mit diesem Gedanken fühlte er sich plötzlich noch unwohler, so unbekleidet. Er war dankbar, als die Frauen seine Füße gebadet hatten und ihm langsam neue Kleider anlegten. Das taten sie mit einer ähnlichen Hingabe und Gelassenheit, wie vorher das Ausziehen stattgefunden hatte.
Schließlich fand sich der Bannerträger in den Kleidern eines Fürsten gewandet vor dem Tisch stehend wieder. Die weißen Beinkleider waren fast vollständig von dem goldenen Übergewand bedeckt, dessen Stickereien Muscheln und Pfauen zeigten. Darunter fühlte er ein ebenfalls blütenweißes langes Hemd aus kühler Seide auf seiner Haut. Man hatte ihm goldenen Schmuck angelegt und angeboten, sein Haupt mit jenen kunstvoll geschichteten Tüchern zu umwickeln, doch Christoph hatte darauf verzichtet. Er wollte nicht aussehen wie ein Osmane.
Schließlich rutschte der Padischah von seiner Gespielin weg und setzte sich im Schneidersitz vor den niedrigen Tisch. Er bot Christoph ebenfalls einen Platz an, und so ließ der sich ein wenig umständlich auf die Kissen nieder. Eine der Frauen kniete
sich mit einer Schale Wasser an den Tisch und wusch ihrem Herrn die Hände, die zweite servierte Gläser mit heißem Tee, und die dritte brachte die herzhaften Speisen herbei. Langsam machte sich der Bannerträger Gedanken, warum er hier empfangen wurde wie ein Gleichgestellter. Oder wurde er das etwa nicht? Er wünschte sich, die Sitten und Gebräuche der Osmanen besser zu kennen. Dann könnte er auch angemessener beurteilen, wie er sich zu benehmen hatte.
Zunächst sprach Sultan Süleyman ein Gebet, dann langte er nach einem Hühnerschenkel und bedeutete, dass ihm Tee nachgeschenkt werden möge. »Greif zu«, bat er Christoph.
Der junge Adlige merkte erst nach den ersten Bissen des Mahles, wie hungrig er tatsächlich war. Er konnte sich nur vage daran erinnern, in den letzten Tagen etwas gegessen zu haben, und so langte er gierig zu. Der Sultan speiste mit mehr Zurückhaltung.
Schließlich wagte Christoph zu sprechen. »Warum habt Ihr mich eingeladen zu bleiben?«
»Ich speise gerne in angenehmer Gesellschaft.«
Das war natürlich nur eine Floskel, denn Christoph war ebenso sehr ein Gefangener wie vorher, vielleicht gar eine Geisel für einen Gefangenenaustausch. »Ist die Gesellschaft Eurer Höflinge nicht angenehm?« Die Frage war dem Bannerträger herausgerutscht, bevor er sich bewusst wurde, wie unpassend sie war.
Der feine Mund des Herrschers kräuselte sich zu einem Lächeln. »Sie sind Höflinge.« Das schien ihm Erklärung genug.
Christoph wusste nicht, ob Süleyman beim Essen gerne über Schlachten und Politik sprach, doch er wollte es probieren. Immerhin wusste er nicht, wie lange der Mann ihn um sich behalten wollte, wenn die Tafel auf einmal aufgehoben würde. »Wie steht es um Wien?«
»Eure kleine Stadt schlägt sich tapfer«, entgegnete der Sultan.
»Deine Glaubensgenossen haben drei Tage meine treuen Janitscharen daran gehindert, sich einzugraben.«
»Graf zu Hardegg?«
Der Sultan schüttelte leicht den Kopf. »Fußknechte.«
Christoph konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Das musste Eck von Reischachs Tun sein - der Mann mit seinen Knechten war ein Teufelskerl.
»Wir haben sie allerdings gebührend empfangen.«
Der Bannerträger wurde blass. »Ist er … Eck von Reischach, ist er tot?« Der Mann war nach dem Feldhauptmann Niklas Graf Salm - der aber schon über siebzig Jahre zählen musste - einer der erfahrensten Feldherren in Wien.
»Nein, keine Sorge. Er lebt, soweit ich weiß.«
Diese Aussage machte Christoph stutzig. Wenn der Sultan das nicht wusste - wer dann? Dann erinnerte er sich aber des heillosen Chaos, das in dem winzigen Scharmützel
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