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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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um helfen zu können.
    Doch nach der entrückten Stunde im Palastzelt Süleymans schien es selbst ihm beinahe, als läge die Belagerung der Stadt mit ihren Ängsten und Nöten in weiter Ferne. Er erinnerte sich an die Worte des Padischahs. Was für einen großen Schlag konnte der gemeint haben? Er wusste es nicht und wünschte doch, er könnte jemanden in der Stadt warnen.

KAPITEL 14
    D raußen musste es längst Nacht geworden sein; Lucas hatte das Gefühl für Zeit und Raum verloren. Seine Sicht war seit Stunden auf den Gang beschränkt, den er grub. Erde und Mauern in Hofers Keller schirmten ihn vor jeglichem Geräusch der Welt über ihm ab, und so konnte er nur schätzen, wie viele Stunden vergangen waren, seit er in dieses unterirdische Reich hinabgestiegen war.
    Die beiden Bergknappen - Thomas, ein stämmiger Mann mit dichtem Bart und grimmiger Miene, sowie der hagere und stets weinerlich aussehende Bernhard - hatten mit Lucas und Wilhelm diskutiert, was zu tun war. Keiner von ihnen hatte sich schon einmal einer solchen Situation gegenübergesehen. Also hielten sie sich an die Vorschläge der Schwazer: Man grub einen Gang und horchte, ob man Stimmen und die Geräusche von Schaufeln und Hacken hörte. Wenn ja, arbeitete man sich darauf zu. Und so stocherten die vier Männer in zwei Schichten im Boden unter Wien, um den Feind zu finden. Das Unterfangen schien aussichtslos - wie sollte man unter der Erde hören, ob jemand anders in der Nähe grub? Wahrscheinlich vergeudeten sie bloß die Zeit der sicher zwei Dutzend Bergknappen und Gerichtsknechte, die Wilhelm und Lucas auf drei andere Keller aufgeteilt hatten.
    Der Student wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Er hatte gerade die Schaufel an Bernhard übergeben und genehmigte sich jetzt ein paar tiefe Züge aus dem Wasserkrug. Mit dem Rücken lehnte er sich an die Wand des Ganges und gönnte seinen Muskeln die verdiente Ruhe.

    In dem Minenschacht, den sie von Hofers Keller aus gegraben hatten, konnte man kaum aufrecht stehen. Mehr Höhe hätte auch bedeutet, dass sie mehr graben und noch mehr Erdsäcke hinaustransportieren mussten. Man beugte sich eh, wenn man schaufelte. Doch Lucas hatte sich im Geiste vorher nicht ausmalen können, wie eng so ein Gang tatsächlich war, wenn man hineinstieg. Die Tatsache, dass man darin oben selbst mit geducktem Kopf und rechts und links mit den Schultern anstieß und sich auch kaum um die eigene Achse drehen konnte, ließ ihn noch mehr schwitzen. Immerhin - hier unten war es deutlich wärmer als draußen. Bernhard hatte ihm erläutert, dass er auf Anzeichen von Schwindel oder einem Drücken auf der Brust achten solle. Dann sei es allerhöchste Zeit, hinauszugehen und Atem zu schöpfen.
    Das einzige Licht, das Lucas die Schwärze erträglich machte, stammte von ihren flackernden Kerzenlaternen, die huschende Schatten an die Wände des schmalen Ganges warfen. Jeder trug seine eigene und hütete sie wie einen Schatz, denn keiner von ihnen wollte allein in der Finsternis zurückbleiben.
    »Und ihr seid sicher, dass wir die Erde nicht abstützen müssen?«, fragte Lucas und wies mit dem Daumen auf die Decke. Die Vorstellung, dass über ihm wer weiß wie viele tausend Pfund schwerer Erde nur darauf warteten, über sie hereinzubrechen, bereitete ihm Atemschwierigkeiten.
    »Ja, doch«, nuschelte Bernhard zurück. Seine Stimme erklang in dem Gang noch gedrückter als sonst. Der Bergknappe rammte die Schaufel waagerecht in die Wand und ließ sie dort stecken. »Schaug. S’isch feucht g’nug, das hält scho.« Dann nahm er den Stiel der Schaufel, zog sie halb wieder heraus und schabte ohne sichtliche Mühe ein tiefes Loch in die Wand.
    »Genau das beunruhigt mich so sehr«, murmelte Lucas. »Man kann mit dem Messer in das Erdreich bohren, als wäre
es Butter. Brot hat mehr Substanz als dieser Boden! Wie kann da nicht die Gefahr bestehen, dass alles einstürzt?«
    »S’isch feucht g’nug«, wiederholte Bernhard. »S’isch so eng hier im Gang, das isch stabil.« Lucas ließ es darauf beruhen.
    »Alles in Ordnung?«, brummte der alte Hofer hinter ihm.
    »Sicher doch«, sagte Lucas. »Außer dass ich in einem engen Erdloch unter Wien nach Fässern voll Schwarzpulver grabe …« Er hustete. Die Luft wurde schlechter. »Ansonsten - alles bestens.«
    »Komm da mal raus, Bürschlein«, knurrte der Zimmermann.
    Lucas trank noch einen tiefen Zug Wasser und stellte den Krug ab. Er nahm den Sack auf, der vor ihm lag, und

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