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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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schaufelte einen Großteil des Aushubes hinein. Dann hängte er sich den Beutel um die Schultern und schob sich rückwärts aus dem niedrigen Stollen in den Kellerraum.
    In diesen Kammern unter Hofers Werkstatt erschreckte ihn jedes Mal, wenn er dorthin zurückkam, die umfangende Kühle. Dafür war die Luft deutlich besser, und Lucas atmete erleichtert tief durch. Er hatte nicht gemerkt, wie stickig es in dem Gang bereits geworden war. Jetzt erkannte er den tieferen Sinn hinter der Ermahnung der Bergknappen, dass keiner allein im Stollen bleiben sollte. Vermutlich konnte man da drinnen einfach so wegdämmern und dann im Schlaf ersticken, wenn man nicht zu zweit unterwegs war. Lucas fragte sich, woran das lag. Ob die Luft für die Organe zu feucht war? Man wusste noch so erschreckend wenig über den menschlichen Körper!
    »Was?«, fragte Lucas schließlich gähnend, als er bemerkte, wie Hofer ihn unter seinen buschigen Brauen anstierte.
    »Das alles war deine verdammte Idee.«
    »Ja, und?«, hakte Lucas nach.
    »Wenn du die Schnauze voll hast, dann geh zu Eck von Reischach
und sag ihm, dass wir hier bloß Zeit verschwenden. Unter der Erde nach Minen graben, dass ich nicht lache! Sag dem Hauptmann, dass du dich geirrt hast.«
    Der Student schüttelte den Kopf. »Dass ich mich hier nicht wohlfühle, ist eine Sache. Aber das heißt noch lange nicht, dass das Graben nicht sinnvoll ist.«
    Hofer schnaubte abfällig. »Hast dir mal überlegt, was passiert, wenn wir was hören? Wenn da draußen jemand ist?«
    »Noch nicht so recht«, räumte Lucas ein.
    »Wenn da draußen jemand ist - und ich sag nicht, dass ich daran glaub -, dann sitzen die auf einem Arsch voll Schwarzpulver, das nur darauf wartet, in die Luft gesprengt zu werden, weißt’?«
    Lucas nickte.
    »Was machen wir dann?«
    »Dann müssen wir wohl versuchen, das Schwarzpulver irgendwie aus den Kammern zu räumen«, sagte Lucas.
    »Du willst in eine Sprengkammer voll Schwarzpulver steigen und sie ausräumen?«, fragte Hofer ungläubig. »Das ist doch närrisch!«
    Lucas zögerte. »Von wollen kann keine Rede sein. Aber vielleicht finden wir ja gar nichts.«
    »Siehst’! Kannst’ nicht zugeben, dass du auch mal falschliegst, was, Bürschlein?«
    »Dasselbe gilt für Euch«, erwiderte Lucas. »Wenn wir Studenten frühzeitig etwas abbrechen, sind wir faul und unzuverlässig. Wenn Ihr Bürgersleute sagt, dass Schluss ist, habt Ihr Recht. Oder sehe ich das falsch?«
    »Fang jetzt nicht damit an, Steinkober«, grollte der Zimmermann.
    Lucas schüttelte den Kopf. »Ich habe damit nicht angefangen. Seit ich denken kann, begegnet Ihr mir mit Misstrauen und Abneigung. Woran liegt das?«

    »Ich kann dich nicht leiden«, knurrte Hofer.
    »Das habe ich inzwischen begriffen«, erwiderte Lucas trocken. »Aber warum? Ihr kennt mich doch kaum!«
    »Weil du ein streitsüchtiger, fauler Student bist!«, polterte Hofer. »Du lebst von anderer Leute Geld und nutzt dieses Geschenk nicht besser, als durch Hurenhäuser und Weinschänken zu ziehen!« Er winkte wütend ab. »Du bist genau wie dein Vater!«
    Lucas blinzelte verwirrt. Er war nie auf den Gedanken gekommen, dass Hofer seinen Vater gekannt haben mochte. Leonhard Steinkober war vor nunmehr fünfzehn Jahren im Bellum latinum , in dem es zum offenen Straßenkampf zwischen Bürgern und Studenten gekommen war, erschlagen worden. Hofer musste damals in den Vierzigern gewesen sein, und sein Sohn Georg Anfang zwanzig - etwa so alt wie Lucas’ Vater damals. Jetzt fiel dem Studenten auch der merkwürdige Satz wieder ein, den Hofer in der Nacht gesagt hatte, in der sie den Überläufer gefangen hatten: »Hätte ich damals nur…« Was hätte Hofer damals tun wollen? »Es ging niemals um mich, nicht wahr?«, sagte Lucas leise. »Der Groll, den Ihr hegt - der gilt meinem Vater.« Die Erkenntnis, dass der Zimmermann an dem Tag, an dem Lucas’ Vater gestorben war, möglicherweise auf der anderen Seite gestanden hatte, raubte ihm für einen Moment die Worte. »Was ist damals passiert, Hofer?«, fragte er schließlich. »Was hat mein Vater Euch angetan, dass Ihr Euren Hass noch fünfzehn Jahre nach seinem Tod an seinem Sohn auslasst?«
    Wilhelm Hofer atmete schwer und ballte die Hände zu Fäusten. »Mach deinen Scheiß alleine, Steinkober!« Dann drehte er sich um und stürmte aus dem Kellerraum.
    Lucas starrte ihm nach, verwirrter denn je. Niemand wollte ihm je genau berichten, wie sein Vater ums Leben gekommen
war. Oder sollte er

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