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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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hast?«, fragte der Corbashi nun und schenkte Anna einen abfälligen Blick.
    »Ja, Herr, sie ist es.«
    »Dann biete ich zweihundert Aspern.«

    »So viel?«, fragte der Verkäufer erfreut.
    »So viel trage ich nicht bei mir«, knurrte der Mann mit dem Narbengesicht. »Aber ich kann laufen und mehr holen.« Anna hielt den Atem an. Sie wollte den Mund aufmachen, wollte aufbegehren - wollte den Männern den Mund verbieten dafür, dass sie von ihr, einer freien Bürgerin von Wien, sprachen, als würden sie ein Pferd kaufen. Sie wusste, dass Madelin das getan hätte. Doch Anna wagte es nicht.
    »Gold in die Hand«, erwiderte der Corbashi und klingelte mit dem Münzbeutel.
    »Vergebung, Seyfeddin«, sprach der Verkäufer und schnappte sich den Goldbeutel des Corbashis. Dann verneigte er sich ehrerbietig. »Sie gehören Euch.«
    Anna spürte mit dem Wechsel des Geldbeutels beinahe, wie sich die Gegebenheiten um sie änderten. Sie würde jetzt diesen Pferch verlassen dürfen. Aber sie würde dem Fremden folgen müssen, der mit ihr und den Kindern tun und lassen konnte, was er wollte. Die Übelkeit in ihrem Magen breitete sich aus.
    »Du«, zischte der Narbengesichtige. Als Anna aufsah, funkelte er sie an und spie auf den Boden, den Zeigefinger anklagend gegen sie erhoben. In seinem Blick lag ein Versprechen - Anna hatte ihn beleidigt, und das würde er nicht auf sich sitzen lassen. Dann wandte sich der Mann ab und ging, und der Verkäufer folgte ihm.
    Anna musterte ihren neuen Herrn ausdruckslos. Doch der Blick, den der als Corbashi Angesprochene umgekehrt auf ihr ruhen ließ, barg eine Mischung aus Misstrauen und Verachtung - und gleichzeitig musterte er sie so innig, dass sie errötete und die Augen niederschlug. Sie schluckte. Was hatte sie sich auch gedacht? Der Mann wollte offenbar auch bloß, dass sie ihm das Lager wärmte.

    »Mein Name ist Mehmed. Ich bin Corbashi der Janitscharen. Und dein neuer Herr«, sagte der Mann mit rauer Stimme. »Nimm deine Kinder und komm.«
    Anna tat, wie ihr geheißen, und nickte den anderen Gefangenen in diesem Pferch noch zum Abschied zu. Dann folgte sie dem Offizier ohne Anstand. Sie dachte nicht an eine Flucht. Mit zwei Kindern an der Seite hätte man sie mit einem Pfeil erschossen, bevor sie auch nur die Zelte vor ihr erreicht hätte. Einen kurzen Augenblick lang barg dieser Gedanke sogar eine gewisse Verlockung. Im Tod wäre sie frei, müsste diesem Mann nicht gehorchen und zu Willen sein, müsste ihm nicht in seine Heimat folgen, wo immer die auch sein mochte. Dann spürte sie Fritzls kleine Hand in ihrer, Elisabeths kräftige Ärmchen, die sich gegen das Tuch stemmte, in dem sie so lange hatte sitzen müssen. Tränen füllten ihre Augenwinkel. Nein, sie wollte leben und kämpfen.
    Mehmed führte sie durch das weitläufige Lager der Osmanen. Bislang hatte sie immer bloß die Übermacht der Soldaten, ihre Bewaffnung und ihren Ingrimm gesehen. Jetzt schaute sie genauer hin, und was sie sah, erstaunte sie. Sie hatte die Gesichter der Osmanen inzwischen ein wenig lesen gelernt. Diese Männer waren nicht grimmig, sondern missmutig. Sie drängten sich um die Feuer, um sich der Kälte zu erwehren. Oft sah sie jetzt, am helllichten Tag, Männer, die sich mit fieberblassem Gesicht in ihre Decken gehüllt so nahe ans Feuer gelegt hatten, dass sie sich beinahe verbrannten. Die Wangen der meisten Fußsoldaten wirkten eingefallen, als bekämen sie nur wenig zu essen.
    Der Corbashi musste ihren Blick gesehen haben. »Die Männer sind unzufrieden. Sie haben Angst vor dem Winter. Und sie sind hungrig.«
    Anna erinnerte sich an das, was sie über die Mordbrenner
gehört hatte - sie ritten durch das Land, hinterließen nur verbrannte Felder und raubten die Bauern. Offenbar legten diese Leute nicht sehr viel Wert darauf, von dem Land zu leben, in dem sie Feldzüge durchführten.
    »Warum zieht Ihr dann nicht fort?«, wagte Anna kleinlaut zu fragen.
    »Weil unser Herr, Sultan Süleyman, uns zu den Waffen gerufen hat. Wir sind verpflichtet, diesem Ruf Folge zu leisten. Seine Lehensleute sind ihm drei Stürme auf die Mauern von Wien schuldig. Wir Janitscharen sind seine Leibwache, wir kämpfen, so lange er uns befiehlt zu kämpfen. Auch wir werden die drei Stürme leisten, es sei denn, unser Herr befiehlt zuvor den Abzug.«
    »Drei? Wie viele habt ihr denn schon?«
    Der Janitschar lächelte kurz, aber freudlos. »Wir haben noch keinen Sturm begonnen, Frau.«
    »Aber gab es nicht schon

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