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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Angriffe?«
    »Reiter des Paschas von Natalia und Lehensreiter aus Amasia, deren Herren sich ein Ehrengewand verdienen wollten«, sprach der Mann spöttisch.
    »Das heißt, wir bleiben hier noch mindestens …«
    »Eine Woche sicherlich.«
    Diese Aussicht erleichterte Anna ein wenig. Niemand wusste, dass sie hier war, also rechnete sie nicht mit einer Rettung. Doch die vertraute Nähe von Wien schenkte ihr immerhin etwas Geborgenheit. Wenn man sie in die Fremde verschleppte, würde sie keinen Namen und keine Familie mehr haben. Dort würde sie niemand mehr kennen.
    Sie wusste, dass dieser Tag früher oder später kommen würde, wenn Wien fiel. Seit über einer Stunde gingen sie durch das Lager, und es kam noch immer kein Ende in Sicht. Im Gegenteil - der Männer wurden immer mehr, ebenso wie der Karren,
der Kanonen und der Zelte. Gegen eine solche Armee hatte nicht einmal der erzherzogliche Feldhauptmann Niklas Graf Salm etwas auszusetzen, der die Bauernaufstände niedergeschlagen hatte. Und was waren schon Bauern gegen eine solche Übermacht Elitesoldaten? Doch die Osmanen waren unmotiviert und krank. Sollte es einen winzigen Hoffnungsschimmer geben, dass Wien diesen Sturm überstehen konnte? Sie wagte kaum, daran zu glauben.
    »Dein Vater ist wirklich Graf zu Hardegg?«, fragte der Janitschar nun. Er musterte ihre Kleidung, als ob er daran zweifelte.
    »Ja, das ist er. Meine Mutter aber … ist nicht sein Weib.« Das Wort Bastard ging Anna nicht leicht über die Lippen.
    »Ist sie nicht?«, fragte er erstaunt. Er blieb stehen und musterte sie. »Wie heißt deine Mutter?«
    »Elisabeth von Schaunburg«, gab sie kleinlaut zurück. Das war sicher kein Name, mit dem der Osmane etwas anfangen konnte.
    Trotzdem schien die Antwort Mehmed nicht zu überraschen. Kannte man die Mutter über die Grenzen von Wien hinaus? »Warum hat der Graf sie nicht zur Frau genommen, wenn du doch sein Kind bist?«, fragte der Mann.
    »Ihr wurde Gewalt angetan«, sprach Anna. »Bevor ich geboren wurde. Von einem Mann Eures Volkes.«
    »Geschändet?«, hakte der Osmane scharf nach.
    »Ja. Der Graf konnte sie so nicht mehr ehelichen«, gab Anna zurück. »Meine Frau Mutter hat aus der Schande ein Kind geboren, also konnte sie wohl kaum verheimlichen, was ihr angetan worden ist.«
    Der Mann starrte sie an, als hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen. Offenbar waren Bastardkinder in seinem Reich ebenso wenig wert wie in ihrem. »Das heißt, du hast einen Bruder?«, fragte er schließlich.

    »Eine Schwester. Wir nennen sie Madelin, aber sie heißt Meryem.«
    Der Osmane starrte sie an. Dann wurden seine Züge weicher. »Ist deine Mutter eine machtvolle Frau in Wien?«
    Anna runzelte die Stirn. »Darauf gibt es keine leichte Antwort, Herr«, meinte sie. »Sie ist noch immer die Geliebte des Grafen Hardegg. Und sie wird Euch ein Lösegeld zahlen, das euren Preis für mich mehr als entschädigt, wenn Ihr es verlangt«, fügte sie schnell hinzu. »Der Graf gibt viel auf ihre Meinung, was Wien und die Politik des Erzherzogs angeht. Sie hat ein Gespür für Macht und weiß harte Entscheidungen zu fällen.«
    »Ja«, murmelte der Osmane. »Das ist wichtig in der Politik und im Krieg.«
    Anna musterte den Mann. Lag da ein Hauch von Trauer in seiner Miene? Hatte er für den Krieg vielleicht auch ein Weib zu Hause gelassen? Doch sie hütete sich davor, sich in ihn hineinzudenken. Sie wollte gar nicht wissen, ob er ein guter oder schlechter Mann war - momentan war er, trotz seines Interesses für sie, ein Feind, und ein Ungläubiger überdies.
    »Du kannst mich gehen lassen«, sagte Anna leise. »Ich bin eine angesehene Bürgerin von Wien. Wenn du sie informierst, dass ich in deiner Hand bin, wird meine Mutter dir sicher viel Geld zahlen. Ich kann bloß schreiben und rechnen, schleifen und einen Haushalt führen. Eine Hure kann dir besser dienen als ich es je vermöchte.«
    Der Osmane fuhr herum und schlug ihr die flache Hand ins Gesicht. Es war kein Schlag, der Anna niedergestreckt hätte; mehr eine Ohrfeige, die ihren Stolz verletzen sollte. Das tat sie auch. »Halt den Mund, Frau«, befahl Mehmed mit rauer Stimme. »Du hast so viel Ehre im Leib wie eine Schlange, die sich des Nachts ins Bett eines Mannes schleicht und ihn vergiftet.«

    Elisabeth begann zu weinen - vielleicht hatte sie der bedrohliche Ton erschreckt. Fritzl zitterte an ihrer Seite. Die Mutter wollte aufbegehren, wollte ihm sagen, dass sie weder Hure noch Sklavin war - doch sie schwieg.

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