Die Schicksalsleserin
enttäuscht, Lucas nicht auch noch für seinen Glauben verachten zu können.
»Bursch’ - wie heißt du eigentlich?«
»Rudolph.«
»Ich bin …«
»Ich weiß, wer du bist. Du bist einer von den Studenten, die sich gegen Pernfuß und die Bürgersleute auflehnen, koste es, was es wolle.«
»Wenn mir jemand meine verbrieften Rechte nehmen will, lehne ich mich eben auf«, erwiderte Lucas geduldig. »Die Bürgersleute mögen sich darüber aufregen, dass die Studenten keine Steuern zahlen. Ich persönlich wüsste gar nicht, wovon.«
Der Bursche erwiderte nichts.
»Du heißt übrigens so wie der Gründer der Universität. Rudolf der Vierte aus dem Geschlecht der Habsburger Herzöge hat sich sehr für die Bildung in Wien eingesetzt. Er hat auch Sankt Stephan ausbauen lassen und ist dort deswegen als Statue am Portal zu sehen.«
»Lernt man so etwas an der Universität?«
»So etwas lernt man, wenn man Augen und Ohren offen hält«, erwiderte Lucas. »Also, Rudolph. Ich bin nicht der Feind.« Er seufzte und schielte zur Tür von Pernfuß’ Schreibkammer.
»Zumindest nicht mehr. Ich will auch bloß, dass Wien diesen Sturm so gut wie möglich übersteht.«
»Und danach?«
Lucas maß Rudolph mit Blicken. »Keine Ahnung … Ich will ehrlich sein. Ich werde weiter für den Sonderstatus der Studenten in der Stadt einstehen. Pernfuß wird sich weiterhin die Beine ausreißen, um unsere Rechte zu beschneiden. Vielleicht kehrt dann alles zum Alten zurück. Das wird die Zeit zeigen. Jetzt sollten wir aber erst einmal dafür sorgen, dass alles gut ausgeht. Einverstanden?«
Rudolph begegnete endlich seinem Blick. In die Augen des Burschen waren noch immer Zweifel geschrieben, doch offenbar hatte er sich dazu entschlossen, Lucas zu vertrauen, denn er nickte schließlich. »Einverstanden.«
Lucas reichte ihm die Hand. So lange, wie draußen Krieg herrschte, würden sie hier drinnen Frieden halten - das war ein Anfang und sogar mehr, als er sich erhofft hatte. Dann wandte sich der Student wieder der ungenauen Übersichtskarte zu, die aussah, als habe ein Laie eine hastige Skizze angefertigt. Graf Salm hatte Wien offenbar in sechs Gebiete unterteilt.
Das Stubenviertel war das nordöstliche Sechstel. Es reichte vom Rotenturmtor, das auf die Brücke über die Donau hinausführte, bis über das Stubentor im Osten hinaus und wurde von Philipp, Pfalzgraf bei Rhein, gesichert. Offenbar wurde ein Angriff von der Donau her erwartet, denn er hatte einhundert Reiter und zwei Regimenter Fußvolk des Reiches um sich geschart, immerhin sechstausend Mann!
Daran anschließend befehligte der als volksnah bekannte Eck von Reischach im Südosten der Stadt dreitausend Landsknechten von ober- und unterhalb der Enns bis knapp über das Kärntner Tor im Südosten hinaus.
Die südliche Mauer vom Augustinerkloster bis zu den Burggärten
hielt Abel von Holleneck mit einem Haufen Steirischer. Dem südwestlichen Abschnitt ab der Burg über das Werdertor bis ungefähr zum Schottenkloster im Westen hoch war Leonhard von Vels mit dem ›Alten Haufen‹ zugeteilt - sieben Fähnlein kampferprobte Fußkämpfer, das waren ebenfalls dreitausend Mann. Das Schottentor selbst hielt Reinprecht von Ebersdorf mit zwei Fähnlein.
Der Nordosten - das obere Schottenviertel am Donauarm entlang - wurde von Ernst von Brandenstein und Wilhelm von Wartenberg mit zweitausend Böhmen gesichert. Wenn Lucas das Gekritzel richtig deutete, gab es dort auch einige Hundert hispanische Arkebusiere. Das war der Abschnitt, in dem er nach dem Rechten sehen sollte.
Der Student seufzte. Brandenstein war ein Ritter, der für seine Arroganz und Streitsucht bekannt war und in der Vergangenheit diverse Fehden geschlagen hatte. Natürlich hatte Pernfuß Lucas ausgerechnet in diesen Verteidigungsbereich gesteckt. »Schlimmer kann’s nicht werden«, murmelte er.
»Wie meinen?« Rudolph sah von seiner Arbeit auf.
»Nichts.« Dann setzte sich Lucas und wartete auf den Gerichtsknecht, mit dem er auf Patrouille gehen sollte. Als endlich die Tür aufging und ein Mann die Schranne betrat, fluchte der Student innerlich auf gotteslästerliche Weise. Es handelte sich um Wilhelm Hofer.
»Überrascht, Bürschlein?«, fragte der alte Zimmermann und strich sich über den grau gesträhnten Bart. »Hast du gedacht, du kommst so leicht davon für Ansässers Tod?«
Der Student erwiderte nichts. Offenbar hatte er sich vorhin geirrt - es ging noch schlimmer.
»Wolltest ein paar nette Spaziergänge durch
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