Die Schicksalsleserin
lag. Doch hätte man nicht auf die Freyung schauend die Menschenmenge schon sehen müssen? Madelin gab ihrem Gaul die Gerte zu spüren, und er fiel in einen unwilligen Galopp.
Ihre Sorge wuchs, als sie niemanden auf der Straße vor dem Schottentor sah. Als die Gruppe auf den Platz bei den Schotten kam, fand sie ihn tatsächlich leer vor, und das Tor vor ihr war geschlossen. Doch Madelin ließ sich nicht einschüchtern. Selbst wenn der Flüchtlingszug schon losgezogen war, konnten sie ja immer noch hinterher.
»Macht auf!«, rief die junge Frau den Landsknechten an der Pforte zu. »Wir wollen zum Flüchtlingszug!«
»Da seid ihr zu spät, Leute«, erwiderte der Mann.
»Aber wir müssen doch hinaus! Macht auf!«
»Das geht nicht! Das Tor ist zu!«, beteuerte der Wächter.
»Aber sie können doch noch gar nicht weit sein! Bitte, wir können doch nicht hierbleiben!« Madelin sprang vom Bock und lief auf das Tor zu, Scheck und Erisbert folgten ihr. Zur Not würden sie es eben selbst öffnen!
Doch der Landsknecht eilte an ihre Seite und griff ihr in den Arm, als sie sich am Riegel zu schaffen machte. »Lass das!« Die Freunde standen hinter ihr, und Erisbert übernahm das Reden. »Herr«, begann er jovial und legte dem Landsknecht den Arm um die Schultern. »Wir werden’s niemandem sagen. Und ein Pfennig soll auch für Euch dabei herausspringen. Wir stehlen uns klammheimlich wie die Mäuschen durch die Schottenvorstadt hinaus und sehen zu, dass wir uns hinten an den Zug anschließen. Wer soll’s schon merken?«
»Die Osmanen«, erwiderte der Landsknecht. »Die Turmwachen melden, dass bei Sankt Anton schon Sipahi zu Pferde vorbeigezogen sind - Reiterei mit Bögen. Bei der Niklasvorstadt haben Reiter Sankt Marx besetzt. Es sind nicht viele, aber sie sind da. Ihr seid hier in der Stadt im Moment sicherer.«
»Also habe ich doch die Osmanen gesehen«, sagte Franziskus. Die anderen Fahrenden schwiegen erschüttert.
»Außerdem könnt ihr gar nicht zum Zug stoßen.« Der Torwächter führte sie auf die Mauer beim Schottentor hinauf.
Madelin stockte der Atem, als sie hinunter auf eine brennende Stadt sah. Das schmuckvolle Kloster Maria Magdalena, das geduckt daliegende Kloster Neuburgerhof, sämtliche alten Fachwerkhäuser, die hier im Schutz der Wälle erbaut worden waren, ja die Vorstadtzäune mit den Türmen selbst - alles war vom Feuer ergriffen. Jetzt zu versuchen, die Straße genWähring
hinauszuziehen, gliche einem Gang durch ein Flammenmeer. »Seht ihr? Ihr könnt nicht hinaus.«
Madelin starrte auf die brennende Stadt. Der Mann hatte Recht. Diese Straße würde so schnell niemand benutzen. Vermutlich waren die Häuser direkt an der Straße mit Lampenöl entzündet worden, sobald der Flüchtlingszug hindurch war. Mit ihm waren Anna und die Kinder fortgegangen. Bestimmt hatte sich die Schwester gefürchtet, allein in die Fremde ziehen zu müssen. Madelin wischte eine Träne aus dem Augenwinkel. Sie war froh, dass wenigstens Anna es aus der Stadt hinausgeschafft hatte. Sie hoffte, dass sie im Schutz der Reiter in Sicherheit war. Doch die Fahrenden würden in Wien bleiben müssen. »Kommt«, sagte sie schließlich.
Unten angelangt, schwang sie sich zurück auf den Kutschbock. Sie kehrte den Karren um und ließ das Pferd die Straße zurücktrotten. Madelin hatte keine Ahnung, wie es nun weitergehen sollte.
Das schnelle Trappeln von Hufen auf dem Pflaster schreckte sie aus ihren düsteren Gedanken auf. Graf zu Hardegg war es, der zu ihnen aufgeschlossen hatte und Madelins Zugpferd in die Zügel fiel. »Du bist der Bastard Elisabeths von Schaunburg, nicht wahr?«, fragte er sie. Madelin nickte. Er hatte sie also doch erkannt.
»Ist Anna auch noch hier?«, fragte zu Hardegg.
»Nein, sie ist im Zug nach Westen.«
»Gut«, erwiderte der Graf sichtlich erleichtert. »Das ist gut. Was macht ihr nun?«
»Keine Ahnung«, erwiderte sie ehrlich.
Zu Hardegg schwieg einen Augenblick und musterte sie eingehend. »Meidet die großen Plätze. Dort stellen sich die kämpfenden Truppen bereit, da seid ihr nur im Weg. Und geht nicht zu den Augustinern oder den Minoriten.« Auf ihren fragenden
Blick hin erklärte er: »Zu nah an der Mauer. Die Türken werden Kanonen mitbringen.«
»Ja, wo können wir dann noch hin?«, fragte Franziskus, der neben Madelin saß.
»Vielleicht bleibt ihr einfach auf dem Schottenkirchhof hier«, erwiderte der Graf. »Oder ihr geht zu Sankt Peter.«
»Danke schön«, erwiderte Madelin.
Nach
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