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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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kurzem Zögern ließ der Graf die Zügel von Madelins Pferd wieder los. »Es tut mir leid, dass ihr es nicht geschafft habt«, sagte er.
    »Ja, mir auch«, sagte Madelin mit erstickter Stimme und ließ das Tier wieder anziehen. Als sie außer Reichweite waren, fragte Franziskus vorsichtig: »Und, wo bleiben wir?«
    »Nicht bei den Schotten oder Sankt Peter zumindest«, sagte Madelin.
    »Und … deine Mutter?«
    »Ich gehe nicht zu meiner Mutter.«
    »Aber …«
    »Ich gehe nicht zu meiner Mutter!«, wiederholte sie.
    »In Ordnung.« Franziskus hob beschwichtigend die Hände. »Du magst deine Familie nicht besonders, oder?«
    »Hardegg ist der Vater meiner Schwester«, gab Madelin leise zurück. »Das heißt nicht, dass er zu meiner Familie gehört. Und meine Mutter …« Sie verstummte. Was sollte sie dem Freund sagen? Dass die Mutter die eigene Tochter hasste und umgekehrt?
    »Also, wohin?«
    Madelin dachte nach. »Wir bleiben im Kirchhof von Sankt Ruprecht. Das liegt an der Nordseite der Stadt, bei der Donau. Dort sind wir so weit aus dem Weg, wie nur irgend möglich und weit entfernt von der Südmauer.«
    »Sankt Ruprecht also.«

    Madelin blickte zurück, in die Richtung, in die der Zug fort war. Der Ikonenmaler legte ihr eine Hand auf den Arm, denn er erriet offenbar ihre Gedanken. »Anna kommt schon klar, Madelin. Das bist du damals auch. Und du warst viel jünger.«
    »Ich hatte aber nicht zwei kleine Kinder dabei.«
    »Du hattest aber auch keinen Trupp schwerer Reiterei, der dich bewacht.«
    Sie nickte. »Ich mache mir trotzdem Sorgen, Franzl.«
    »Das ist so, wenn man Familie hat. Madelin, wir müssen uns jetzt um uns selbst kümmern. Für Anna kannst du im Moment nichts mehr tun.«
    Madelin holte tief Luft, denn Franziskus hatte Recht. »Wir müssen also nur noch den Sturm der Osmanen überleben«, sagte sie und lächelte bitter. »Ein Kinderspiel, wie?« Damit lenkte sie ihr müdes Pferd in den Norden der Stadt.

KAPITEL 6
    A ls ich dich zum Gerichtsknecht gemacht habe, Lucas Steinkober, haben wir eine Vereinbarung getroffen. Du hast mir versprochen zu spuren. Und ich habe dir versprochen, dich doch noch aus der Stadt zu verbannen, wenn du es nicht tust - Osmanen hin oder her!« Der Stadtrichter Paul Pernfuß wirkte selbst hinter seinem Schreibtisch sitzend noch groß und bedrohlich.
    Lucas Steinkober war am späten Nachmittag, Stunden nachdem der letzte Flüchtlingszug abgezogen war, in die Schranne zitiert worden, um sich eine Standpauke anzuhören. Es war der fünfundzwanzigste September des Jahres 1529.
    »Der Landsknecht Walther hat gesagt, du hättest gestern gegen seine ausdrückliche Anordnung zwei Frauen mit ihrem brennenden Haus geholfen, eine davon hätte sich später beinahe aus dem Flüchtlingszug geschlichen!«
    »Sie haben den beiden buchstäblich das Haus über dem Kopf angezündet! Und dann mussten wir doch ihre kleinen Kinder aus dem Feuer herausholen!«, protestierte Lucas. Offenbar wusste Pernfuß nichts davon, dass er Madelin gestern doch noch nach ihren Freunden hatte suchen lassen. Jetzt waren sie im Schutz der Reiter bestimmt schon kurz vor Krems. Auch wenn es Lucas beruhigte, Madelin in Sicherheit zu wissen, überkam ihn bei diesem Gedanken doch eine sanfte Wehmut.
    »Das hat Walther aber anders erzählt. Und warum fragst du dem armen Mann dauernd Löcher in den Bauch? Walther sagt, er hätte dir immer alles doppelt erklären müssen.«

    »Ich verstehe eben gerne, warum ich etwas tun soll«, sagte Lucas. »Das Problem ist, dass Walther es selbst nicht weiß.«
    »Verstehen?« Pernfuß starrte ihn an. »Bei den Gerichtsknechten wird nicht disputiert, Steinkober! Wir sind hier nicht in der Vorlesung, verdammt!« Dann schlich sich ein listiges Glitzern in seinen Blick. »Die Räumung der Vorstädte ist ja nun getan. Du brauchst eine neue Aufgabe, nicht wahr? Ich habe dich den Patrouillen zwischen Salztor und Rotenturmtor zugeteilt. Du sorgst mit dafür, dass in den Straßen der Stadt Sicherheit herrscht und die Leute sich nicht gegenseitig an die Kehle gehen.«
    »Ich soll … Schlägereien schlichten?«
    »Unter anderem. Es gibt noch immer sicher tausend Bürger Wiens in der Stadt, die Haus und Habe ihrer selbst und ihrer Freunde und Verwandten bis zum letzten Blut verteidigen werden. Und dann haben wir ungefähr … siebzehntausend Mann leichte und schwere Reiterei, Landsknechte und Arkebusiere sowie Flüchtlinge und Plünderer in den Mauern, die die Stadt für eine gemästete Gans

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