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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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die Stadt machen, was?«
    Lucas schüttelte den Kopf. »Das nicht. Aber ich dachte, man
lässt mich helfen, Wien zu schützen. Stattdessen legt man mir bloß Steine in den Weg.«
    »Wieso Steine? Ich will nur dafür sorgen, dass du nicht wieder etwas tust, das aufrechte Wiener Bürger das Leben kostet!«
    Lucas musterte den Zimmermann. »Und wer sagt mir, dass Ihr nicht versucht, Euren Zunftmann zu rächen?«
    Hofer ballte die Hände zu Fäusten. »Schließt immer von dir auf andere, was?«
    »Eigentlich nicht.« Der Student fuhr sich durchs Haar. Er wusste wirklich nicht, ob er dem Alten trauen konnte. Sie zusammen auf Patrouille zu schicken, um in den Straßen Wiens für Sicherheit zu sorgen, war eine einmalig schlechte Idee. Eine, an der Pernfuß sicherlich seine helle Freude hatte.
    Lucas starrte den alten Mann an. Die Konfrontation mit ihm musste irgendwann stattfinden. Vielleicht war es sogar besser, wenn dies früher als später geschah. »Also gut.« Damit drehte er sich um und ging hinaus.
    Draußen sandten Feuchtigkeit und Wind Lucas einen Schauer über den Rücken. Er zog den Umhang enger, den er über Wams und Beinkleidern trug, und wartete, bis Wilhelm Hofer ihm gefolgt war, dann schritt er voran.
    Lucas nahm die Route am Rathaus vorbei und bog Richtung Frauenkirche ab. Die schmale, leicht angewinkelte Kirche ragte hoch auf und schien die Häuser des alten Flusshafenviertels um ihren Rock zu versammeln wie eine fürsorgliche Mutter ihre Kinder. Der Student schlug den Weg zu der Stiege ein, die hinunter zur Mauer führte und mit einem Seil gesichert war, weil sie so steil war. Unten am Salzgries lagen einige der verruchtesten Gasthäuser der Stadt. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass dort erst später in der Nacht Ärger zu erwarten war.

    Wilhelm Hofer blieb ein wenig zurück. Er schien schwer Schritt halten zu können. Lucas hatte ganz vergessen, dass der Zimmermann an dem Tag, an dem Ansässer gestorben war, selbst verletzt worden war. »Ihr solltet nicht hier sein«, sagte er, als der Alte an der Stiege angelangt war.
    »Ich kann diesen Dienst genauso gut verüben wie du, Bürschlein«, keifte der Zimmermann. »Wenn nicht gar besser. Denn im Gegensatz zu dir weiß ich, warum ich hier bin.«
    Lucas seufzte. Offenbar wollte Hofer ihm die Zusammenarbeit nicht erleichtern. »Das weiß ich auch.«
    »Ach, ja?«, fragte Hofer. »Wegen eines Weibsbilds?«
    »Nein, nicht wegen einer Frau. Aber ich werde mich vor Euch nicht rechtfertigen. Ihr hört mir ja eh nicht zu.« Stattdessen machte Lucas eine höfliche Geste, um dem Älteren den Vortritt auf der Stiege zu lassen. Doch der Handwerker schüttelte den Kopf. »Für wie dumm hältst du mich, Bürschlein?«
    »Wie - für wie dumm? Was meint Ihr?«
    »Ich werde nicht so dämlich sein, dir den Rücken zuzuwenden.«
    »Was soll denn das heißen?«
    »Du weißt genau, was das heißt, Bürschlein«, grollte der Handwerker. »Das heißt, dass ich nicht riskieren werde, durch einen Stoß von dir die Treppe hinunterzustürzen, damit du das als Unfall abtun kannst!«
    Lucas starrte den Mann ungläubig an. »Warum sollte ich Euch wohl etwas antun wollen, Meister? Wir sitzen zusammen in einem Boot!«
    »Weil ich dich in die Schranne geschleppt habe vielleicht? Weil mein Wort dich auf das Schafott bringen kann? Ich weiß nicht, warum Pernfuß dich zum Gerichtsknecht gemacht hat, aber er hat mich mitgeschickt, damit ich ein Auge auf dich habe, nicht umgekehrt!«

    Lucas winkte ab. Wenn Hofer nicht vorgehen wollte, musste er das selbst tun. Er wandte dem Zimmermann den Rücken zu und betrat die erste Stufe. Wenn der Mann auf Rache aus war, dann könnten sie das genauso gut auch gleich hinter sich bringen. Lucas’ Nacken kribbelte unangenehm, und er spürte, wie er sich verkrampfte und auf die kleinsten Geräusche hinter sich lauschte. Langsam ging er die Stiege hinunter zum Gestade unterhalb der Stadtmauer, dort wo einst der Alserbach aus der Stadt hinaus in den Donauarm geflossen war. In seinem Rücken keuchte Wilhelm Hofer. Immerhin - der Mann hatte wegen seiner Verletzung mit der Treppe so viel zu tun, dass er nicht auf dumme Gedanken kommen würde.
    Dort unten wachte derWerderturm, dessen Spitzdach schon alt und zerfallen aussah, als einer von sicher einem Dutzend Flusstürmen über dem Ufer der Donau. Dieser Seitenarm musste vor Jahrhunderten die Haupthandelsstraße nach Wien hinein gewesen sein, denn nur so ließ sich erklären, warum die Nordseite der Stadt

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