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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Glauben?«
    »Ja.«
    »Und wenn er doch ein Spion ist?«
    »Das sollte besser der Feldhauptmann entscheiden, meint Ihr nicht?«
    »Sollten wir nicht erst zu Pernfuß?«, fragte Hofer.
    »Der so viel Ahnung von der Verteidigung einer Stadt hat wie ein Waschweib?«
    »Er ist der Stadtrichter!«, sagte Hofer entrüstet. »Du schuldest ihm mehr Respekt. Außerdem - weißt’ es besser?«
    »Dass man keine Löcher in eine Stadtmauer schlagen lässt, um dort Kanonen zu platzieren? Ja, das weiß selbst ich besser, und ich habe keine Ahnung von Belagerungstaktik!«, erwiderte Lucas hitzig. »Wenn wir erst zu Pernfuß gehen, lässt er den Mann bloß hinrichten, so wie den Herren mit dem Goldkaftan kürzlich. Und dann erfahren die Hauptleute nie, was er zu sagen gehabt hätte.«
    Hofer blickte zweifelnd, doch schließlich nickte er. Sie halfen dem Fremden auf. Er war schwer, und es kostete sie einige Mühen, ihn die Steigung zur Frauenkirche hinaufzubringen. Dann wankten sie nach Süden zur Burg. Dort würden sie den Feldstab Graf Salms finden.

    Lucas schwitzte. Der Mann lag auf dem Tisch in einer Kammer in der Burg - war er ein Verräter, ein Spion? Lucas wusste nicht, wie er ihn nennen sollte. Die Burg, dieses wehrhafte Bollwerk, lag im Süden der Stadt direkt an der Mauer bei den Augustinern. Von vier unterschiedlich hohen Türmen trotzten Fahnen der Habsburger und Wiens den Osmanen just auf jener Seite, die dem Lager der Osmanen am nächsten zugewandt war. Das gelegentliche Donnern der Kanonen wirkte hier lauter und beunruhigender. Im beinahe quadratischen Hof herrschte großes Durcheinander. Boten kamen und gingen, eine Abteilung Reiter bereitete ihre Pferde für den Ausritt vor und Karren wurden be- und entladen. Lucas sah hauptsächlich Pulverfässer und Kanonenkugeln, um die Geschützmannschaften zu bestücken. Offenbar ging man davon aus, dass das Schwarzpulver hinter doppelten Mauern am sichersten war.
    Jetzt war es beinahe Mittag. Sie warteten schon gewiss eine Stunde in der schlichten Kammer, die eher nach einer Wachstube denn einem herzöglichen Gelass aussah. Rechts und links von dem Mann - Lucas beschloss, ihn bei sich den Mauerkletterer zu nennen -, stand je eine Wache der Landsknechte. Groß, gerüstet und mit Schwert und Pike bewaffnet, sahen diese Herrschaften nicht so aus, als sei mit ihnen gut Kirschen essen. Lucas fuhr sich durch das Haar. Wie war er aus der Kodrei Goldberg hierher auf die Burg der Stadt Wien gekommen? Was war nur alles in so kurzer Zeit passiert?
    Als der Mauerkletterer wieder hustete, wollte Lucas schnell an seine Seite eilen, doch der Landsknecht mit dem leuchtend roten Gewand griff seinen Arm und hielt ihn ihm vor die Brust.
    »Er hat Schwierigkeiten, Atem zu schöpfen«, erwiderte der Student. »Wollt Ihr, dass er hier stirbt, bevor der Graf mit ihm sprechen kann?«

    »Willst du ihm die Brust öffnen, damit er besser Luft bekommt?«, fragte der Landsknecht süffisant.
    »Das nun nicht«, erwiderte Lucas. »Aber ich kann sehen, ob es an seiner Lunge liegt oder an seiner verdammten gebrochenen Nase!«
    Der Landsknecht maß ihn mit Blicken, doch Lucas hielt dem unbewegt stand. Was auch immer geschah, er würde den Mann hier nicht sterben lassen. Schließlich nickte der Rotgewandete und ließ ihn durch, an das unbequeme Lager des Mauerkletterers.
    Der Mann hustete immer wieder, und Lucas legte erst vorsichtig sein Ohr auf dessen Brust, bevor er die Rippen betastete. Der Mann zuckte zusammen. »Setz dich auf«, forderte er den Verletzten auf. »Genau so, Knie anwinkeln, Kopf dazwischen.« Er half dem Mann, der unter schlimmen Schmerzen leiden musste. Lucas warf Wilhelm Hofer einen vorwurfsvollen Blick zu. Dem Mann ginge es gut, wenn der Zimmermann nicht seine Laune an ihm ausgelassen hätte! Doch Hofer hielt den Kopf gesenkt und die Arme vor der Brust verschränkt.
    Als der Mauerkletterer aufrecht saß, klopfte ihm Lucas vorsichtig mit der Rechten auf den Rücken. Nicht dort, wo er die Lunge bei der Sektion eines Verbrechers im Theatrum Anatomicum des Universitätsgebäudes in der Bäckerstraße gesehen hatte. Er klopfte weiter oben, kurz unterhalb der Kehle. Mit der Linken hielt er dem Mann ein Tuch vor den Mund. Der röchelte ein paarmal und hustete blutigen Auswurf hinein. Dann atmete er freier.
    »Bleib so sitzen«, wies Lucas den Verletzten an. »Dir fließt das Blut aus der gebrochenen Nase in den Rachen und verklebt dort. Wenn du den Kopf zwischen den Knien hältst, fließt es

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