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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Christenpflicht, Wien vor seinen Herren zu warnen, dann wird er das ertragen. Sprich!«, wandte er sich wieder an den Verletzten.
    Als der Mauerkletterer schwieg, kehrten Lucas’ Zweifel zurück. Hatte der Mann ihn doch hinters Licht geführt? Oder konnte er sich bloß nicht mehr erinnern? Man sagte, die Janitscharen würden als Kinder geraubt. Vielleicht hatte er das Glaubensbekenntnis nie gelernt?
    Schließlich stöhnte der Verletzte, nahm einen pfeifenden Atemzug und zog das befleckte Tuch von Mund und Nase. » Credo in deung, batreng ongnibotenteng, creatoreng caeli et terrae «, begann er. » Et in Iesung Christung, filiung eius unicung, donginung nostrung .« Der Sprung in der Lippe begann wieder zu bluten, und der Mann rang nach Luft.
    Lucas schloss die Augen. Die Worte klangen elend und wurden offenbar unter großen Schmerzen gesprochen. Dabei versuchte der Janitschar, seinen Mund so wenig wie möglich zu bewegen. Lucas blickte Eck von Reischach an, doch der griff nicht ein. Stattdessen beobachtete er den Mann. Der setzte schließlich wieder an und schaffte es, bis zum Vitam aeternam durchzuhalten.
    Lucas seufzte erleichtert. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass er den Atem angehalten hatte. Jetzt fehlte dem Mann nur
noch das Amen . Der Verletzte kämpfte um sein Bewusstsein, und Lucas sprenkelte ihm schnell etwas Wasser ins Gesicht. Tränen des Schmerzes mischten sich dazu. Nach quälend langer Pause flüsterte der Mann: » Angen .« Dann presste er das Tuch wieder unter Mund und Nase und schloss kurz die Augen.
    Jetzt entspannte sich auch Eck von Reischach. »Ich glaube dir«, sagte er dem Mann. Er befahl Lucas, ihm etwas zu trinken zu geben. Graf zu Hardegg und Wilhelm Hofer sahen immer noch skeptisch aus.
    Nachdem der Verletzte getrunken hatte, begann der Hauptmann die Befragung. »Ibrahim Pascha lässt Minen graben?« Der Mauerkletterer nickte nicht, er gab nur ein bejahendes Grunzen von sich. »Was sind die Ziele?«
    Der Janitschar nahm erneut das Tuch vom Gesicht. Lucas erkannte, dass das Blut kaum noch floss, was bedeutete, dass die Wunde zu heilen begann. Man würde die Nase bald richten müssen, damit nicht wieder alles aufriss. Aufgeregt wischte er sich die schweißnassen Hände an den Beinkleidern ab. Er hatte noch nie wirklich selbst eine gebrochene Nase gerichtet, hatte bislang davon nur in Büchern gelesen und gesehen, wie Heinrich das einmal bei einem Freund gemacht hatte.
    Der Mauerkletterer formte Worte, die mit seinem ungarischen Akzent und der aufgeplatzten Lippe schwer zu verstehen waren. Heraus kam, dass die Osmanen die Mauer am Kärntner Tor in die Luft sprengen wollten.
    »Aber wie sollen sie denn so nah herankommen?«, fragte Graf zu Hardegg.
    »Laufgräben«, flüsterte von Reischach. »Wir haben uns schon gefragt, was sie draußen so eifrig arbeiten. Sie heben Laufgänge bis zu unserem Stadtgraben aus und decken sie ab, damit wir sie nicht sehen und beschießen können. Von dort aus
kommen sie unterirdisch unter den Wall und platzieren Sprengladungen.«
    »Rechts oder links?«, fragte Graf Hardegg nun.
    Aller Augen richteten sich auf den Verletzten, doch der antwortete nicht. »Rechts oder links vom Kärntner Tor? Die Mauern sind lang!«
    Der Mann zuckte vorsichtig mit den Schultern.
    »Er weiß es nicht«, stellte Eck von Reischach fest und rieb sich die Augen. »Haben sie es nur auf die Mauern abgesehen?«, fragte er dann.
    »Klätze«, stöhnte der Janitschar.
    Aller Augen richteten sich auf Lucas. Der spielte die Konsonanten durch - Sätze, Krätze, Mätze - er erbleichte. »Plätze«, stieß er aus. »Sie wollen die Bereitstellungsplätze unserer Truppen in die Luft sprengen.«
    Eck von Reischach presste die Lippen aufeinander, die anderen schwiegen. Nach einem Moment suchte er Lucas’ Blick. »Er beherrscht das Glaubensbekenntnis. Schön und gut. Aber glaubst du dem Mann? Er kann uns genauso gut mit einer Fehlinformation hergesandt worden sein.«
    Lucas wich den intensiv dreinschauenden Augen aus. Glaubte er dem Mann? Wollte er die Verantwortung für eine Entscheidung treffen, die so viele Menschen betraf? »Es ist gleich, ob ich ihm glaube oder nicht, Herr«, erkannte er schließlich.
    »Warum das?«
    »Wir können uns nicht leisten, ihm nicht zu glauben. Und wir schaden uns nicht, wenn wir dementsprechend handeln.«
    »Oh doch«, knurrte Graf zu Hardegg. »Wir ziehen Leute ab, schicken sie in die Keller, um zu lauschen. Wir jagen unseren eigenen Schatten.«
    »Die

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