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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Gerichtsknechte können helfen«, entgegnete Lucas. »Die Leute von der Stadtwache können längere Schichten
schieben, damit wir Männer entbehren können. Oder?« Lucas sah zu Hofer hinüber. Doch der schwieg.
    Graf zu Hardegg wies mit dem Finger auf Hofer. »Ihr glaubt dem Mann immer noch nicht?«
    Hofer zuckte mit den Schultern. »Na«, sagte er dann. »Er kennt das Credo . Ja, und? Das ist nicht schwer.«
    »Ihr glaubt, wir sollten ihm nicht trauen?«
    »Ihr werdet wissen, was zu tun ist, Herr«, sagte Hofer. »Wenn Ihr ihm glaubt - ich habe ein Haus bei Sankt Clara, nahe dem Neuen Markt. Es steht nicht unweit der Ringmauer. Der Keller - man könnte dort lauschen, ob wirklich gegraben wird.«
    »Ich glaube, das wird nicht nötig sein«, begann zu Hardegg. »Ich werde das nicht auf meine Kappe nehmen.« Er blickte zu dem anderen Hauptmann hinüber.
    Von Reischach sah nachdenklich zu Boden. Als er den Kopf wieder hob, sah er Lucas an. »Es gibt ein paar Bergknappen aus Schwaz. Niemand kennt sich so gut im Graben von Stollen aus wie diese. Ihr beiden werdet euch ein paar von ihnen greifen. Sie sollen sich mit den Gerichtsknechten aufteilen und in so viele Keller an der Ringmauer wie möglich gehen. Es ist mir egal, ob ihr die Häuser aufbrechen oder abbrennen müsst, um unter die Erde zu kommen. Hauptsache, wir stellen Lauschtrupps auf.«
    Lucas schluckte. Die Aussicht, in finsteren und feuchten Löchern unter der Erde auf Geräusche des Feindes zu lauschen, erfreute ihn nicht unbedingt. »Und was geschieht, wenn wir etwas hören?«
    Graf zu Hardegg spannte den Kiefer an, so dass die Muskulatur hervortrat. »Das wird nicht passieren.«
    Doch von Reischach seufzte. »Ich weiß es nicht. Ich bin ein Landsknecht, keine Wühlmaus. Fragt die Schwazer, vielleicht haben die eine Ahnung, was man dann tun muss.«

    Lucas nickte dem Hauptmann der Landsknechte zu. Man musste dafür sorgen, dass der Feind Wien nicht des letzten Schutzes beraubte, den es noch besaß. Die Stadtmauer mochte dreihundert Jahre alt sein. Doch sie stand noch. Und sie war das Einzige, was die Osmanen daran hinderte, in der Stadt ein Blutbad anzurichten.

KAPITEL 11
    A nna erwachte zitternd und der Atem gefror ihr vor dem Mund zu Nebel. Die Nacht hüllte sie in dem Raum, in dem sie sich befand, wie in einen kalten Mantel.
    Sie blinzelte, um die Halle mit ihrem Blick durchdringen zu können. Nur ein Feuer brannte unter dem Bogen des Lettners, der den Raum durchspannte. Sie lag im Chor der Kirche, um sie herum schliefen die anderen Gefangenen. Viele kannte sie inzwischen aus dem Flüchtlingszug, doch manche sprachen nicht einmal ihre Sprache, weil sie aus Pressburg oder anderen Städten kamen.
    Die Osmanen hatten ihre Gefangenen in die Ruine einer Kirche gesperrt. Anna kannte das Innere von einem Besuch vor zwei Jahren her als ein Gotteshaus im Sporkenbühel. Von hier aus waren nur wenige Stunden Marsch bis zu ihrem alten Heim. Sie zupfte an dem blau gemusterten Streifen, den man ihr um das Handgelenk gebunden hatte, um sie als Besitz eines Herren zu markieren.
    Der steinerne Boden der Kirche war mit Grabplatten bedeckt; Altäre, Heiligenstatuen, ja selbst Chorgestühl und das Weihwasserbecken waren umgestoßen oder hinausgeschafft worden. Manches hatte den Feinden als Feuerholz gedient. Man hatte sich in den letzten sechs Tagen mehr schlecht als recht eingerichtet, jede Familie hatte ihren Platz, man half sich, wo man konnte. Heute musste der erste Oktober sein.
    Frierend schlang Anna die Arme um die Knie - vorsichtig, damit sie Elisabeth vor sich nicht zu sehr drückte - und zog den Stoff ihrer Röcke über die Beine, so weit es ging. Der Regen
hatte in den letzten Tagen schon die Wärme der Sonne vertrieben, in der letzten Nacht hatte jedoch der erste Frost das Land überzogen. Draußen war es still - doch das Schweigen der Kanonen war trügerisch. Gab es für die Osmanen nichts zu tun, konnten sie sich mit ihrer Beute beschäftigen.
    Elisabeth regte sich vor ihrer Brust. Sie war inzwischen zu groß, um einfach in Tücher gewickelt auszuharren. Sie hatte durch Umherkriechen, Krabbeln und Laufen Kraft in den Ärmchen und Beinchen bekommen und nutzte sie, um ihren Willen durchzusetzen. Und was für einen Willen sie hatte! Jetzt strampelte die Kleine gegen das Tuch, das ihr die Sicht nahm, und gab ein paar unwillige Laute von sich. Sie war schon so groß geworden, dass sie bald allein würde laufen müssen.
    »Sch«, machte Anna und legte ihr die Hand

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