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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Langmut an ihn verschwendete, suchte ihm in aller Ruhe die Notwendigkeit begreiflich zu machen, daß sich jeder einzelne bewußt sein müsse, zum gemeinsamen Wohl der Kolonie sein Möglichstes beizusteuern. Patterson wollte nicht Vernunft annehmen. Die Drohung, mit Gewalt einzuschreiten, blieb gleichfalls erfolglos. Er ließ sich nicht einschüchtern wie Lewis Dorick Was war ihm die kleine Eskorte des Gouverneurs! Der Geizhals hätte sein Hab und Gut auch gegen eine Armee verteidigt! Diese Vorräte, die er um den Preis von unzähligen Entbehrungen, indem er sich die Bissen vom Munde gespart, zusammengescharrt hatte, gehörten ihm, waren sein unbestreitbarer Besitz! Er hatte nicht im Interesse der Allgemeinheit, sondern zu seinem persönlichen Vorteil gespart und gedarbt. Und wenn ihm sein Eigentum dennoch genommen werden sollte, mußte es ihm bezahlt werden; den genauen Wert der Ware verlangte er in Geld.
    Einst hätte eine derartige Beweisführung den Kawdjer lächeln machen – heute machte sie ihn nachdenklich. Eigentlich hatte Patterson recht. Um das Vertrauen der ihres Eigentums beraubten Hostelianer nicht zu erschüttern, wäre man verpflichtet gewesen, nach jenen Regeln vorzugehen, welche sie gewohnt waren, überall beachtet zu sehen Und die erste aller durch eine allgemeine Übereinstimmung geheiligte Regel ist das Eigentumsrecht.
    Deshalb hörte der Kawdjer so geduldig die Verteidigungsrede Pattersons an, deshalb versicherte er ihn, daß es sich in diesem Falle durchaus nicht um eine Beraubung handle, da alles, was im Interesse der Kommunität beschlagnahmt wurde, nach seinem genauen Werte zurückgezahlt werden würde. Damit war dem Protestverfahren des Geizhalses ein Ende gemacht. Aber nun begann ein lautes Klagen. Jede Ware war so selten und infolgedessen so wertvoll auf der Insel Hoste!… Der geringfügigste Gegenstand war eigentlich von ungeheuerem Werte… Ehe Frieden geschlossen wurde, mußte der Kawdjer lange Verhandlungen in bezug auf die Höhe der zu zahlenden Summe durchmachen. Als man dann einig geworden war, legte Patterson freiwillig beim Leeren seines Kellers mit Hand an.
    Bis sechs Uhr abends waren alle gefundenen Lebensmittel auf den Platz gebracht worden. Sie bildeten einen Hügel von beträchtlicher Höhe. Der Kawdjer schätzte sie mit einem flüchtigen Blicke ab, fügte ihnen in Gedanken die Vorräte von Neudorf bei und berechnete, daß bei strenger Verwaltung die Kolonisten für zwei Monate versorgt waren.
    Sogleich wurde die erste Verteilung vorgenommen. Die Emigranten defilierten vorüber und jeder erhielt für sich und seine Familie den ihm bestimmten Anteil. Sie machten große Augen, als sie die angehäuften Reichtümer sahen, da sie sich doch dem Verhungern nahe glaubten. Das war ein Wunder; ein Wunder, das der Kawdjer bewirkt hatte!
    Nach stattgefundener Verteilung kehrte dieser mit Harry Rhodes nach Neudorf zurück und beide eilten an das Schmerzenslager Halgs. Zu ihrer Freude konnte der Kawdjer eine anhaltende Besserung im Befinden des Kranken konstatieren, bei dem Tullia und Graziella unausgesetzt Wache hielten.
    Nach dieser Richtung beruhigt, nahm der Kawdjer mit unbeugsamen Starrsinn den Plan auf, den er sich während der letzten schlaflosen Nacht vorgezeichnet hatte.
    Er wandte sich an Harry Rhodes und sagte ernst:
    »Die Zeit zu reden ist nun gekommen. Herr Rhodes. Bitte, folgen Sie mir.«
    Der ernste, fast schmerzhafte Ausdruck seines Gesichtes bestürzte Harry Rhodes, welcher stillschweigend gehorchte. Beide verschwanden im Zimmer des Kawdjer, dessen Tür sorgfältig verriegelt wurde.
    Eine Stunde später öffnete sie sich wieder und niemand ahnte, was bei dieser Unterredung zur Sprache gekommen war. Der Kawdjer hatte sein gewöhnliches Aussehen beibehalten, vielleicht war er noch unnahbarer geworden; Harry Rhodes dagegen schien ganz verklärt vor Freude. Vor seinem Freunde, welcher ihn bis an die Tür seines Hauses begleitet hatte, verbeugte er sich fast ehrfürchtig, ehe er ihm innig die Hand drückte, die dieser ihm entgegenstreckte; im Augenblick des Scheidens sagte er noch:
    »Zählen Sie auf mich!
    – Das tue ich!« antwortete der Kawdjer, und sah seinem Freunde nach, welcher in der Nacht verschwand.
    Nachdem Harry Rhodes gegangen war, kam Karroly an die Reihe.
    Der Kawdjer nahm ihn mit sich und gab ihm Verhaltungsmaßregeln, die der Indianer mit seinem gewohnten Respekt anhörte, dann erst ging er – unermüdlich, wie er war – wie am Vorabende nach Liberia

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