Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Bewohnern geflohen. Männer, Frauen und Kinder eilten in die Placers Einige bereicherten sich rasch, wenn sie eine Anhäufung von Goldkörnern entdeckten, die die Gewalt des Gebirgswassers vor urdenklicher Zeit hier aufgespeichert hatte. Aber auch jene gaben die Hoffnung nicht auf, die durch Wochen fleißiger Arbeit nichts erreicht hatten. Alle wurden angezogen; es war, als ob dem Gold eine magnetische Kraft innewohne, der die menschliche Vernunft nicht widerstehen konnte. Bald waren in Liberia nur mehr hundert Kolonisten, die letzten, die ihren Familien und Geschäften treublieben, die durch das Treiben aber sehr geschädigt wurden.
Es war eine traurige, aber wahre Tatsache, daß die Indianer, die sich auf der Insel ein Heim gegründet hatten, der Versuchung ganz widerstanden. Zur Ehre dieser bescheidenen Feuerländer sei es gesagt: die Erhaltung so manchen Bauerngutes, so mancher Wirtschaft war ihrem treuen Sinn zu verdanken und ihrer ehrlichen Natur, die sich nicht mitreißen ließ. Und dann hörten diese armen Leute auf die Worte des Kawdjer und es wäre ihnen nicht in den Sinn gekommen, seine unzähligen Wohltaten jetzt mit Undankbarkeit zu vergelten.
Und es wurde immer schlimmer. Bald kam der Moment, wo die Bemannung der im Hafen liegenden Schiffe auch dem verderblichen Beispiel folgte. Jeder Tag brachte neue Desertionen. Ohne ein Wort verlauten zu lassen, verließen die Matrosen ihr Schiff und verschwanden im Inneren der Insel, vom Goldfieber berauscht. Die Schiffskapitäne beeilten sich, Neudorf schnell zu verlassen und schlossen ihre Geschäfte gar nicht fertig ab Natürlich würden sie erzählen, in welche Gefahr sie sich begeben, und kein Schiff würde mehr den Hafen anlaufen wollen.
Auch diejenigen verschonte die Ansteckung nicht, deren Pflicht es war, sie zu bekämpfen. Die vom Kawdjer zur Beaufsichtigung der Küste ausgesandten Streifpatrouillen waren bald nicht mehr zu sehen und zu hören Von den fünfhundert hatten zwanzig ihre Pflicht erfüllt. Die Truppe, die unter seinem persönlichen Befehl stand, schmolz zusammen wie ein Stückchen Eis. Keine Nacht verging, ohne daß sie nicht von einigen zur Flucht benützt worden wäre. In vierzehn Tagen bestand sie anstatt aus dreihundert – aus fünfzig Männern.
Troß aller Energie fühlte sich der Kawdjer jetzt sehr entmutigt. Er hatte sich nach einem jahrelang dauernden Bruche wieder an Menschen angeschlossen, weil er ihnen Gutes erweisen wollte – und jetzt enthüllte diese Menschheit zynisch vor seinen Blicken all ihre Fehler, ihre Schmach, ihre Laster. Was er so mühsam aufgebaut – stürzte in einem Augenblick zusammen; weil der Zufall aus einem Felsensplitter einige Goldparzellen blitzen ließ, mußte diese unglückliche Kolonie dem Verderben anheimfallen!
Er konnte nicht mehr dagegen ankämpfen. Die treuesten Anhänger verließen ihn wie die anderen. Mit dieser Handvoll Menschen, die er noch sein eigen nannte, und die ihn morgen verlassen haben konnte, war es unmöglich, die gesamte Bevölkerung zur Vernunft zu bringen.
Der Kawdjer kehrte nach Lieberia zurück. Er konnte nichts mehr tun. Wie ein entfesselter Bergstrom tobte das Unglück durch die Insel und verwüstete sie; man mußte warten, bis sich seine Heftigkeit gelegt hatte.
Fast schien es, als sollte dieser ersehnte Augenblick kommen. Am 15. Dezember, vierzehn Tage nach der Rückkehr des Kawdjer in die Hauptstadt, kamen einige Liberier zurück. In den folgenden Tagen wieder; für einen Kolonisten, der auszog, kehrten zwei aus den Placers wieder.
Zwei Ursachen waren daran schuld. Erstens war das Goldgraben durchaus nicht so leicht, als man es sich vorgestellt hatte; den Felsen zu behauen oder Gold zu waschen von früh bis abends ist keine leichte Arbeit, allein die Hoffnung auf raschen Gewinn kann sie erträglich machen. Man brauchte sich nicht nur zu bücken, um die Goldkörner aufzuheben – wie man gemeint hatte. Auf einen, den der Glücksstern zu einer Anschwemmung von Gold geführt hatte, kamen hunderte, denen ihr neues Handwerk, das viel schwerer war als ihre bisherigen Beschäftigungen, kaum einen Gewinn brachte. Man hatte den fabelhaften Berichten zu viel Glauben geschenkt! Da mußte viel abgerechnet werden. Es war nicht zu leugnen, daß es Gold auf der Insel Hoste gab, viel Gold! Aber man konnte es nicht mit der Hand aufheben, wie man einfältigerweise geglaubt hatte. Für viele Kolonisten war das eine fürchterliche Enttäuschung, die um so größer war, se höher ihre
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