Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
fanden sie meistens auf dem Pflaster von San Francisco wie die Sperlinge. Sie wußten nichts voneinander und ihrer traurigen Existenz, bis das Schicksal sie vor etwa sechs Monaten einander gegenüberstellte unter Umständen, die man als »hoch tragisch« bezeichnen würde, wenn die Schauspieler einer anderen Gesellschaftssphäre angehört haben würden.
Dick ging dem Kai entlang, die Hände in den Taschen, die Mütze schief auf dem Kopfe und pfiff ein bekanntes Lied zwischen den Zähnen, als er Sand bemerkte, welcher von einem großen, laut bellenden Hund verfolgt wurde, der drohend sein spitzes Gebiß zeigte. Das furchtbar erschrockene Kind weinte laut und hielt, um das Schreckliche nicht zu sehen, seinen Arm vor die Augen.
Dick sprang hinzu und stellte sich zwischen den zitternden Knaben und dessen fürchterlichen Angreifer, sah dem Hunde fest in die Augen und erwartete furchtlos das Kommende.
Wurde das Tier durch diese herausfordernde Haltung eingeschüchtert? Jedenfalls wich es langsam zurück und lief dann mit eingezogenem Schweife davon. Ohne sich weiter um den Hund zu bekümmern, wandte sich Dick an den Knaben.
»Wie heißest du? fragte er mit der Miene eines Beschützers.
– Sand, schluchzte dieser und suchte seiner Tränen Herr zu werden; und du?
– Dick… Wenn es dir recht ist, wollen wir Freunde sein.«
Sand antwortete nicht mit Worten; er warf sich an die Brust des Helden und so war die unzerstörbare Freundschaft geschlossen.
Hartlepool hatte von weitem diese Szene mit angesehen. Er hatte die Kinder befragt und so ihre traurige Geschichte erfahren. Er hätte Dick gern geholfen, der unerschrockene Junge gefiel ihm, und hatte ihm angeboten, ihn als Schiffsjungen mit sich auf den »Josuah Brener«, einen Dreimaster, zu nehmen, auf dem er gerade eingeschifft war. Aber beim ersten Wort hatte Dick die Bedingung gestellt, daß Sand mit ihm aufgenommen werden müsse. Hartlepool gab nach und von dieser Zeit an hatte er die beiden Unzertrennlichen nicht aus den Augen verloren; sie waren ihm vom »Josuah Brener« auf den »Jonathan« gefolgt. Der Hochbootsmann war ihr Lehrer gewesen und hatte ihnen Lesen und Schreiben beigebracht, das wenige, was er selbst wußte. Aber er hatte sein Interesse, seine Wohltaten an keine Unwürdigen verschwendet. Er war ihres Lobes voll und die Kinder hingen mit leidenschaftlicher Dankbarkeit an ihm. Natürlich hatte jeder seine Fehler; der eine war zornig, empfindlich, streitlustig, immer bereit, Krieg zu führen, wann und wo und mit wem es auch sei; der andere war schweigsamer, sanfter, bescheidener Natur und etwas schüchtern. Jener war Beschützer, dieser der Beschützte. Aber beide zeigten gleichen Arbeitseifer, gleiches Pflichtbewußtsein und die gleiche Anhänglichkeit an ihren gemeinsamen Freund, den Hochbootsmann Hartlepool.
So waren die beiden neuen Teilnehmer der Expedition beschaffen.
In den ersten Morgenstunden des 28. März wurde aufgebrochen. Man maßte sich nicht an, die ganze Insel Hoste erforschen zu wollen, nur die dem Lagerplatz zunächst liegenden Partien wollte man kennen lernen. Zuerst wurden die Berge überstiegen, welche die Mittelrippe der Halbinsel Hardy bilden, so daß deren Westküste erreicht wurde; entlang dieser wanderte man nach Norden, um auf diese Weise von der entgegengesetzten Uferlinie zum Lager zurückzukehren, wobei natürlich die Südseite der eigentlichen Insel durchquert werden mußte.
Nachdem man eine kurze Strecke weit vorgedrungen war, hatte man bald die Empfindung gewonnen, daß das Land nicht nach dem allerdings abschreckenden Anblick der Unglücksstelle beurteilt werden dürfe, und diese Empfindung verstärkte sich und wurde stets von neuem bestätigt, je weiter man nach Norden wanderte. Wenn die Halbinsel Hardy ihrer ganzen Länge nach bis zu ihrem stachlichten Ausläufer, dem Falschen Kap Hoorn, dem Auge nur unfruchtbare Felsen zeigte, so erschienen dagegen die im Nordwesten des Landes auftauchenden Hügel mit frischem Grün geschmückt.
Zu Füßen dieser bewaldeten Höhen lagerten sich weitgedehnte Prärien, die wieder von Felsenwildnissen abgelöst wurden, deren Oberfläche spärlichen Graswuchs zeigte, während in den tiefen Schluchten das Heidekraut üppig gedieh. Verstreut tauchten auch gelbblütiger Ginster auf und Seeastern mit blauen und violetten Köpfen, über einen Meter hohe Kreuzwurzstanden und eine Unzahl von Zwerggewächsen: rankender Zytisus, Pfriemengras und winzige Pimpinellen in voller Blüte. Über
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