Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
fünfte, John Rame, war ein Ritter trauriger Gestalt. Höchstens fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Jahre alt, hatte er in einem zügellosen Leben den Becher des Vergnügens geleert, dabei sein Vermögen verloren und war nun, halt-und kraftlos, unnütz zu jeder ernsten Betätigung, unter die Auswanderer gegangen. Und man war wohl berechtigt zu erstaunen, wie dieser Mensch, der so gar nicht gewappnet war für den Kampf mit dem Leben, als letzte Torheit seiner vergeudeten Jugend sich zu den Auswanderern gesellen konnte.
    Nun waren noch die drei Künstler, welche ihren Beruf verfehlt hatten. Jeder hatte ein anderes Vaterland: Deutschland der eine, Amerika der andere und Frankreich der dritte. Der Deutsche hieß Fritz Groß. Er war ein unheilbarer Trunkenbold; dem fortgesetzten maßlosen Alkoholgenusse verdankte er ein ekelerregendes Aussehen. Sein ganzer Körper war schwammig aufgedunsen und aus seinem Munde rann unausgesetzt der Speichel herab und beschmutzte seine Kleidung – ein widerlicher Anblick. Das Gesicht war hochrot, der Schädel kahl, die Wangen hingen schlaff herab und seine Zähne waren in denkbar schlechtestem Zustand. Ein fortwährendes Zittern hielt seine Hände mit den häßlichen, dicken Fingern in Bewegung. Selbst unter diesen wenig verwöhnten Menschen hatte er durch sein mehr als vernachlässigtes Äußeres eine traurige Berühmtheit erlangt. Dieses verkommene Individuum war ein Musiker, Geigenkünstler und zeitweise – ein Genie. Seine Geige allein vermochte es, in manchen lichten Augenblicken sein gegen alle edleren Regungen abgestumpftes Gewissen aufzurütteln. In solchen ruhigen Momenten streichelte er seine Geige, liebkoste sie, behandelte sie mit größter Zärtlichkeit – und war nicht imstande, auch nur einen Ton hervorzubringen, wegen des unausgesetzten, krampfhaften Zitterns seiner Hände.
    Durch die neuerliche Einwirkung des Alkohols fanden dann seine Bewegungen die altgewohnte Sicherheit wieder, dann brach sich ein Lichtstrahl Bahn in sein umnachtetes Gehirn und in dieser Inspiration entlockte er seinem Instrumente Klänge von wundersamer Schönheit. Zweimal war Harry Rhodes Zeuge eines solchen Wunders gewesen.
    Der Franzose und der Amerikaner sind dem Leser schon bekannt. Ihre Namen waren: Ferdinand Beauval und Lewis Dorick.
    Harry Rhodes unterließ es nicht, den Kawdjer über ihre auf den Weltumsturz hinzielenden Theorien aufzuklären.
    »Glauben Sie nicht, meinte er, als er am Schlusse seiner Erklärungen angelangt war, daß es klug und notwendig wäre, sich durch passende Vorsichtsmaßregeln gegen diese beiden Aufwiegler zu schützen? Schon während der Reise haben sie auf die Leute Einfluß genommen.
    – Welche Vorsichtsmaßregeln wollen Sie denn in Anwendung bringen? fragte der Kawdjer.
    – Ich würde sie zuerst energisch verwarnen und sie sodann sorgfältig überwachen lassen. Wenn dies sich als ungenügend erweisen sollte, müßten sie eben außerstande gesetzt werden, weiter zu schaden, indem man sie einsperrt, wenn es nicht anders geht!
    – Alle Wetter! rief der Kawdjer mit leiser Ironie, Sie gehen aber stramm ins Zeug. Und wer darf sich denn das Recht anmaßen, über die Freiheit von Gleichberechtigten nach eigenem Gutdünken zu verfügen?
    – Dazu haben alle jene das Recht, welche durch die Umtriebe dieser beiden gefährdet werden.
    – Wo sehen Sie – ich sage nicht einmal »Gefahr« – die Möglichkeit einer Gefahr? warf der Kawdjer ein.
    – Wo ich sie sehe?… In der Aufwiegelung der Leute, dieser armen, ungebildeten Menschen, die ebenso leicht zu täuschen sind wie kleine Kinder und sich hinreißen lassen durch jedes schöne Wort, wenn dieses ihrer augenblicklichen Gedankenrichtung schmeichelt!
    – In welcher Absicht werden sie aufgewiegelt?
    – Man will sie dazu bringen, sich fremdes Eigentum anzueignen.
    – Haben denn andere überhaupt ein »Eigentum?« fragte der Kawdjer spöttisch, das wußte ich nicht. Aber hier, wo nichts zu nehmen ist, ist diese Furcht wohl überflüssig.
    – Ich meine die Ladung des »Jonathan«.
    – Diese ist Gemeinbesitz, bedeutet das gemeinsame Wohl; jeder weiß, versteht dies und niemand wird sich daran vergreifen.
    – Ich wünsche nur, daß die Zukunft Ihre heutigen Worte nicht Lügen strafen möge, sagte Harry Rhodes, welcher durch diesen unerwarteten Widerspruch etwas erregt war. Übrigens glaube ich nicht, daß es sich bei Leuten vom Schlage Doricks und Beauvals um materielle Interessen handelt. Ihnen genügt, den Funken

Weitere Kostenlose Bücher