Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
beiden Indianern und dem Kawdjer zur Schlafstätte. Diejenigen, welche an ein Entweichen dachten, mußten eine günstige Gelegenheit abwarten.
Diese langersehnte Gelegenheit ergab sich endlich am 10. Mai.
Als der Kawdjer an diesem Tage eben von der Scotchwell-Bai zurückgekommen war, bemerkte er, wie die beiden Feuerländer am Strande unter heftigen Gebärden erregt miteinander sprachen, während die Wel-kiej in einer Entfernung von mehr als dreihundert Metern mit vollen Segeln ins offene Meer hinaussteuerte. An Bord unterschied man vier Männer, jedoch war die Entfernung zu groß, als daß man ihre Gesichtszüge hätte erkennen können. Wenige rasch gewechselte Worte klärten den Kawdjer über den Sachverhalt auf. Man hatte eine kurze Abwesenheit Karrolys und seines Sohnes benützt, um sich der Schaluppe zu bemächtigen. Als die beiden den Raub bemerkt hatten, war es zu spät, um einzuschreiten.
Die Emigranten, welche nach und nach von ihrem neuen Lagerplatz zurückkamen, versammelten sich in stets wachsender Anzahl um den Kawdjer und seine zwei Genossen. Ihrer Ohnmacht und Wehrlosigkeit bewußt, blickten sie schweigend der Schaluppe nach, die von einer leichten Brise anmutig geschaukelt wurde. Das war ein neuerliches, ernstes Mißgeschick für die Schiffbrüchigen, welche eine kostbare Arbeitskraft für ihren gegenwärtigen Transport verloren und gleichzeitig der einzigen Möglichkeit beraubt wurden, sich mit der übrigen Welt in Verbindung zu setzen. Aber für die Eigentümer der Wel-kiej war das kein bloßes Mißgeschick, sondern ein ausgesprochenes Unglück!
Trotzdem verriet kein Zug im Gesichte des Kawdjer, wie sehr der Zorn über diese gemeine Handlungsweise in seinem Inneren kochte. Mit undurchdringlicher, kalter, gleichmütiger Miene verfolgte er das sich entfernende Schiff, bis es hinter einem Felsenvorsprung der Küste verschwunden war. Dann wandte er sich zu den Umstehenden:
»Zur Arbeit!« sagte er ruhig.
Jeder nahm seine Beschäftigung mit neuem Eifer auf. Der Verlust der Schaluppe gebot eine vermehrte Eile, wenn man fertig werden wollte, ehe der Winter sein strenges Regiment antreten würde. Man mußte sich noch glücklich schätzen, daß der freche Diebstahl nicht in den ersten Tagen des Umzuges erfolgt war. Dann hätte man unmöglich rechtzeitig fertig werden können. Glücklicherweise war alles jetzt, am 10. Mai, fast beendet und mit ein wenig Mut und Ausdauer war wohl auch das letzte noch zu bewältigen.
Die Emigranten staunten den Kawdjer ob seiner gleichmäßigen Heiterkeit an. Nichts hatte sich an seinem Wesen geändert, stets trug er die gewohnte Güte zur Schau, wie immer war er in seiner aufopferungsvollen Weise tätig. Sein Ansehen wuchs zusehends.
Ein Vorfall, der sich gleichfalls an diesem denkwürdigen 10. Mai ereignete, gewann ihm vollends alle Herzen.
Er half gerade einen mit Samensäcken schwer bepackten Wagen ziehen, als laute Schmerzensrufe an sein Ohr drangen. Rasch eilte er der Stelle zu, von der diese Laute kamen und fand dort einen etwa zehnjährigen Knaben, welcher auf der Erde lag und kläglich stöhnte. Auf seine Fragen erzählte das Kind, es sei von einem Felsen herabgefallen, könne nicht mehr aufstehen und empfinde heftige Schmerzen im rechten Bein.
Natürlich hatten sich sofort eine Anzahl Auswanderer um den Kawdjer versammelt und tauschte ihre unmaßgeblichen Meinungen aus; die Eltern des gestürzten Kindes fanden sich auch ein und ihre törichten Klagen vermehrten die allgemeine Verwirrung. Mit lauter Stimme gebot der Kawdjer Ruhe und untersuchte den kleinen Verwundeten. Die Emigranten sahen ihm aufmerksam und schweigend zu und bewunderten seine ruhige Sicherheit und die Geschicklichkeit seiner Bewegungen. Die Diagnose war nicht schwer zu stellen; sie lautete auf einen leichten Schenkelbruch, den er rasch und geschickt einrichtete. Das gebrochene Glied wurde nun mit Leinwandstreifen umwickelt und dann zwischen aus Holzstäben verfertigte Schienen gelegt, die es zur Unbeweglichkeit verurteilten. Darauf wurde das Kind auf einer rasch hergestellten Tragbahre zur Scotchwell-Bai gebracht.
Während der Kawdjer alles überwachte, beruhigte er die untröstlichen Eltern. Der Bruch sei ganz ungefährlich; der Vorfall würde keine bösen Folgen haben und in zwei Monaten würde das Kind heil und gesund sein, ohne jede Spur des Geschehenen. Nach und nach faßten der Vater und die Mutter neue Hoffnung und waren ganz getröstet, als ihr Sohn, nachdem der Verband
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