Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Projekt erklären, dann würde die Regierung über kurz oder lang Mittel und Wege finden, sie ihrer Heimat zuführen zu lassen. Selbstverständlich konnte das kleine Avisoschiff von so geringem Tonnengehalt sie nicht fortbringen, nicht einmal bis Punta-Arenas. Man wollte die »Gesellschaft für Kolonisation« ersuchen, ein Hilfsschiff zur Verfügung zu stellen, dessen Ankunft eben abgewartet werden mußte. Einige Wochen würden noch vergehen, ehe die Emigranten die Insel verlassen konnten.
Wie leicht zu erraten ist, hatte der Vorschlag der Regierung von Santiago eine ungeheuere Aufregung zur Folge.
Das hatte man nicht erwartet! Die Emigranten waren unfähig, in einer so wichtigen Sache sofort eine endgültige Entscheidung zu treffen: erst blickten sie sich gegenseitig in ungläubigem Staunen an, dann flogen alle Gedanken demjenigen zu, den man für den einzig geeigneten Mann hielt, im Sinne des gemeinsamen Interesses die rechte Entscheidung zu fällen. Mit einer fast gleichzeitigen Bewegung – die ihre dankbaren Gefühle, ihren Scharfsinn und – ihre Schwäche deutlich verriet – blickten sie nach Westen, das heißt dorthin, wo an der Flußmündung sich die Wel-kiej in ihrer Bucht schaukeln mußte.
Aber die Wel-kiej war verschwunden; so weit die Blicke trugen – der Horizont war leer, auf dem Wasser war sie nicht zu erblicken.
Zuerst waren die Leute wie erstarrt. Dann kam mit einem Male Bewegung in die Menge. Man sprach durcheinander, beugte sich vor, ragte sich auf, fragte und suchte, alles in der Hoffnung, denjenigen zu entdecken, zu dem alle ihre Zuflucht zu nehmen gewohnt waren. Aber bald wurde es allen klar: der Kawdjer war verschwunden und Karroly und Halg mit ihm.
Alles war fassungslos. Es war diesen unselbständigen Leuten so zur Gewohnheit geworden, den Kawdjer für sich denken und entscheiden zu lassen; sie waren seiner Uneigennützigkeit und scharfen Urteilskraft ja vollständig sicher. Und jetzt gerade hatte er sie verlassen, in diesem Augenblick, wo es sich um die Entscheidung ihres ganzen ferneren Lebens handelte! Sein Verschwinden hatte die gleiche Wirkung zur Folge als das Erscheinen des Schiffes in den Gewässern der Insel Hoste.
Auch Harry Rhodes war sehr traurig, obwohl aus anderen Gründen Er hätte es ganz selbstverständlich gefunden, wenn der Kawdjer die Insel Hoste an dem Tage des Scheidens der Emigranten verlassen haben würde – aber warum hatte er den Tag nicht abgewartet. Man zerreißt doch nicht so plötzlich die Bande einer aufrichtigen Freundschaft, man scheidet doch nicht ohne Abschied, ohne sich Lebewohl gesagt zu haben!
Diese unvorhergesehene Abreise sah einer Flucht zum Verwechseln ähnlich. Sollte die Ankunft des chilenischen Schiffes der Grund der Handlungsweise des Kawdjer sein?…
Alle Vermutungen hatten ein Anrecht auf Wahrscheinlichkeit, um so mehr, wenn man die von einem geheimnisvollen Nimbus umgebene Lebensführung des Kawdjer in Betracht zog, dessen Abstammung sogar ein Rätsel geblieben war.
Die Abwesenheit ihres gewöhnlichen Ratgebers zu einer Zeit, wo seine Meinung besonders maßgebend gewesen wäre, verwirrte die Emigranten aufs höchste. Die Menge verteilte sich langsam und der Kommandant des Avisoschiffes blieb fast ganz allein zurück. Eine kleine Gruppe nach der anderen zog sich bescheiden zurück, um ja nicht in die Lage zu kommen, zu irgendeiner Entscheidung gezwungen zu werden. Nur verstohlen besprach man seine Eindrücke und tauschte leise seine Meinung über des Kommandanten erstaunliches Anerbieten aus. –
Während acht Tagen blieb die Angelegenheit ausschließliches Gesprächsthema. Die Leute konnten sich noch immer nicht von ihrem Staunen erholen. Der Vorschlag schien ja so unmöglich, unfaßbar, daß viele Emigranten sich nicht entschließen konnten, ihn ernst zu nehmen. Harry Rhodes wurde von seinen Gefährten gebeten, mit dem Kommandanten nochmals Rücksprache zu nehmen, ihn um einige Erklärungen zu ersuchen; selbst die Vollmacht, in deren Besitze er war, wurde genau auf ihre Echtheit geprüft und immer wieder mußte er wiederholen, daß die Unabhängigkeit der Insel Hoste von der Republik Chile anerkannt werden würde.
Der Kommandant tat sein Möglichstes, um die Emigranten zu überzeugen. Er setzte ihnen selbst die Gründe auseinander, welche die Republik zu einer derartigen Handlungsweise bewogen hatten, und wie vorteilhaft es anderseits für die Emigranten wäre, sich in einem Lande niederzulassen, dessen Besitz ihnen für alle
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