Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Alkoholvorräte, die der »Ribardo« gebracht hatte, für kommende Zeiten reserviert, die andere Hälfte unter die Kolonisten verteilt worden. Die Folgen dieser Freigebigkeit waren leicht vorherzusehen. Viele verloren gleich ihren klaren Verstand und Lazare Ceroni noch mehr als alle anderen. Tullia und ihre Tochter mußten wieder die häßlichen Szenen über sich ergehen lassen, die der Außenwelt unbekannt blieben, weil sie vom allgemeinen Festtaumel übertönt wurden. Man trank, man spielte, man tanzte auch zu den Klängen, die der wiedererwachte Fritz Groß seiner Geige entlockte. Die Müßigen blieben bei dem musikalischen Genie stehen. Selbst der Kawdjer kam nach Liberia herüber, von den herrlichen Weisen angezogen, die um so wunderbarer klangen, weil sie einzig waren auf dieser weltfernen Insel. Einige der Bewohner Neudorfs begleiteten den Kawdjer, unter ihnen Harry Rhodes samt Familie, welche den musikalischen Genuß sehr zu würdigen wußten. Für Halg und Karroly waren die zauberhaften Klänge wie eine Offenbarung und Dick und Sand fehlten bei keiner Produktion und liefen aufs andere Ufer hinüber, sobald die Violine sich hören ließ.
Dick allerdings suchte nur nach einer neuen Gelegenheit zur Unterhaltung. Er hüpfte und tanzte, bis ihm der Atem ausging, indem er wenig und keine Rücksicht auf den Takt nahm. Anders Sand. Wie bei den früheren Vorstellungen war er in der vordersten Reihe zu erblicken, mit großen Augen und offenem Munde, zitternd vor Bewegung; er lauschte voll Aufmerksamkeit, verlor keinen Ton vom ersten bis zum letzten, der leise verhallend erstarb.
Seine andächtige Haltung fiel schließlich dem Kawdjer auf.
»Du hörst wohl gerne Musik, mein Junge, fragte er ihn einmal.
– O… Herr!« seufzte Sand.
Und ganz begeistert fügte er hinzu:
»Wenn ich auch so spielen… spielen könnte… wie Herr Groß!…
– Wirklich, sagte der Kawdjer, dem die Begeisterung des Knaben gefiel, würde dir das Freude bereiten? Das ließe sich ja vielleicht machen!«
Sand schaute ihn ungläubig an.
»Warum nicht? sagte der Kawdjer; bei nächster Gelegenheit lasse ich dir eine Geige kommen!
– Wahrhaftig, Herr?… fragte Sand mit glückstrahlenden Augen.
– Ich verspreche es dir, mein Kind, sagte der Kawdjer, bis dahin mußt du aber Geduld haben.«
Ohne in der Vorliebe für Musik so weit zu gehen wie der kleine Schiffsjunge, hatten doch die anderen Emigranten Gefallen an diesen zufälligen Konzerten. Es war eine Zerstreuung, die die Monotonie ihres Lebens angenehm unterbrach.
Der unleugbare Erfolg Fritz Groß’ inspirierte Ferdinand Beauval mit einer neuen Idee. Regelmäßig zweimal in der Woche sollte dem Musiker eine Ration Alkohol verabfolgt werden – was in der Folge geschah – und somit hatte Liberia zweimal in der Woche ihr Konzert – wie andere zivilisierte Städte.
Die Taufe der Hauptstadt und die Organisation der Vergnügungen erschöpften Ferdinand Beauvals Kräfte. Außerdem neigte er zur Selbstbewunderung, jetzt besonders, da alle zufrieden schienen. Klassische Erinnerungen wurden in ihm wach.
»Panem et circenses«
forderten die Römer. Hatte er, Beauval, nicht nach antikem Vorbild gehandelt? Das Brot hatte der »Ribardo« gebracht und die zukünftigen Ernten würden das weitere schaffen. Die Unterhaltungen waren die Produktionen Fritz Groß’, wenn man nicht dieses fortgesetzte
»Far niente«
zu den Unterhaltungen rechnen wollte, in dem die Mitglieder der Kolonie lebten, welche das Glück hatten, unter der unmittelbaren Autorität des Gouverneurs zu stehen.
Februar und März gingen vorüber, ohne daß seine optimistischen Anschauungen getrübt wurden. Der Friede Liberias wurde zwar manchmal durch Wortwechsel und Streitereien getrübt, aber das waren Vorfälle ohne Bedeutung, zu denen Beauval die Augen schloß – was ihm ein geschicktes politisches Vorgehen dünkte.
Leider machten die letzten Märztage der glücklichen Zeit ein Ende. Der erste Vorfall, der seine Ruhe störte, war bedeutungslos und nur das Vorspiel zu den dramatischen Peripetien, die noch folgen sollten. Es handelte sich zunächst nur um einen leichten Wortwechsel, der aber, nach seinem Charakter und seinen Folgen zu urteilen, nicht angetan schien, eine friedliche Lösung zu finden; er erachtete es sogar für nötig, aus seiner bescheidenen Verborgenheit herauszutreten. Er tat nicht wohl daran und sein Dazwischentreten hatte Folgen, die er nicht voraussah.
Haig war der Held dieses Ereignisses.
Nach dem
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